Dick Marty

Dr. jur. Dick Marty ist Ständerat im Schweizer Bundesparlament und Mitglied
der parlamentarischen Versammlung des Europarats, wo er der Präsident der
Rechtskommission und der Kommission für Menscherechte ist. Als
Sonderermittler des Europarats wurde er beauftragt, einen Bericht über die
Existenz der angeblichen CIA-Geheimgefängnisse in Europa zu machen. Im Jahre
2007 erhielt er den SwissAward in der Kategorie Politik. Am 1. Februar 2007
wurde er an die Universität von Neuenburg (Schweiz) eingeladen, wo er einen
Vortrag hielt mit dem Titel: "Auf der Suche nach Phantom-Flugzeugen und
Geheimgefängnissen. Muss man Tyrannei mit den Instrumenten der Tyrannen
bekämpfen"?

Als Anfang November 2005 die Tageszeitung Washington Post enthüllte, dass
Agenten der Central Intelligence Agency (CIA) mutmaßliche muslimische
Terroristen gekidnappt hatten und sie in illegalen Geheimgefängnissen
inhaftierten, war ich weit entfernt davon, mir vorstellen zu können, was auf
mich in den darauffolgenden Monaten zukommen würde. Am selben Tag
veröffentlichte die amerikanische NGO Human Rights Watch einen Bericht, der
ähnliche Informationen ans Tageslicht brachte und darüber hinaus
konkretisierte, dass diese Inhaftierungszentren sich in Polen, Rumänien und
anderen osteuropäischen Ländern befanden. Die Quellen von Human Rights Watch
stammten unter anderem, wie wir später erfuhren, von der CIA selbst.

Parallel veröffentlichte der Radiosender ABC auf seiner Internetseite eine
ähnliche Nachricht. Sie blieb nur ungefähr eine halbe Stunde online, denn
der Besitzer des Senders griff ein, um die Verbreitung dieser Nachricht zu
verhindern. Der Journalist verständigte sofort seine Freunde über das
Verbot, damit sie die Nachricht für die Nachwelt festhalten und sie nicht
verloren gehen lassen.

Die Enthüllungen von Washington Post und Human Rights Watch waren keine
wirkliche Neuigkeit. Der Journalist Stephen Grey, um nur ein Beispiel zu
nennen, hatte bereits Artikel veröffentlicht, in denen von
"außerordentlichen Überstellungen" ("extraordinary renditions") und
"Folterverschleppung" die Rede war. Zu diesem Zeitpunkt jedoch gab es in der
öffentlichen Meinung nicht wirklich ein Bewusstsein darüber.

Natürlich hat es Medien gegeben, die die CIA-Verschleppungen und die
CIA-Geheimgefängnisse erwähnten, gleichzeitig konnte man aber ohne weiteres
feststellen, dass ein starker Druck ausgeübt wurde, um sie zum Schweigen zu
bringen. Später wurde aufgedeckt, dass es ein Treffen im Weißen Haus mit den
Herausgebern der wichtigsten Zeitungen gegeben hatte, mit dem
wahrscheinlichen Ziel, ihnen verständlich zu machen, dass es nicht gut wäre,
Informationen zu verbreiten, die sich auf die Terrorismusbekämpfung bezogen.

Sofort nachdem diese Hinweise auf die Existenz von Geheimgefängnissen in
Europa bekannt wurden, hat der Europarat reagiert: Die parlamentarische
Versammlung verlangte, dass ein Bericht über diese Verschleppungen gemacht
werden solle, deren Existenz, wenn sie bewiesen würde, offensichtlich im
Widerspruch zur europäischen Menschenrechtskonvention stehen würde.

Ich möchte daran erinnern, dass keine andere zwischenstaatliche Organisation
eine so ausdrückliche und starke parlamentarische Dimension kennt wie der
Europarat. Die parlamentarische Versammlung setzt sich aus Delegationen der
verschiedenen Parlamente der 46 Mitgliedstaaten zusammen. Diese Delegationen
vertreten die nationalen Parlamente, die verschiedenen Parteien und sie
müssen proportional beide Geschlechter sowie alle Minderheiten ihres Landes
vertreten.

Der Zufall wollte es, dass die Kommission für juristische Angelegenheiten
und Menschenrechte der parlamentarischen Versammlung zwei Tage nach den
Enthüllungen von Washington Post und Human Rights Watch in Paris tagte, in
erster Linie, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Man hat mich
vorgeschlagen und ich wurde zum Präsident der Kommission ernannt.

Der erste Auftrag, den ich zu bewältigen hatte, war also der der
Verschleppungen und der Geheimgefängnisse. Erst einige Wochen später habe
ich bemerkt, welche Last das bedeuten konnte, als die parlamentarische
Versammlung am 25. November 2005 in Bukarest das Mandat bestätigen sollte,
das mir die Kommission anvertraut hatte. Die Pressekonferenz, die meine
Nominierung als Berichterstatter ankündigte, wäre beinahe zu einem Aufruhr
geraten, so viele Journalisten waren dort. Erst dort wurde mir der explosive
Charakter dieser Angelegenheit klar und die Tatsache, dass meine Mission nun
begonnen hatte.

Die Medien nennen mich für gewöhnlich "Untersuchungsbeamter" des Europarats.
In Wirklichkeit war ich das nicht und bin ich auch jetzt kein wirklicher
Untersuchungsbeamter. Ein Untersuchungsbeamter hat die Möglichkeit, Personen
vorzuladen, Dokumente zu beschlagnahmen und Personen zu verhaften. Dies sind
Befugnisse, die ich während der fünfzehn Jahre als Staatsanwalt hatte, die
mir aber in diesem Fall bitter fehlten. Ich habe daraufhin beschlossen, mich
auf die gleiche Ebene zu begeben wie diejenigen, die wir verdächtigten,
Geheimgefängnisse unterhalten zu haben und so eine Art von
"Geheimdienstarbeit" zu versuchen.

Ich hatte jedoch kaum Mittel. Zwar stand mir das Kommissionssekretariat zur
Verfügung, aber es war völlig überlastet. Schließlich konnte ich die
Unterstützung eines 28-jährigen Schotten erlangen. Zusammen haben wir
Kontakte mit unabhängigen Ermittlungsjournalisten geknüpft, mit
Nichtregierungsorganisationen und Spezialisten der "Geheimdienste" in
verschiedenen Ländern. So begannen wir zu recherchieren und die Puzzle-Teile
zusammenzusuchen.

Anfang 2006 hat das Parlament der Europäischen Union beschlossen, eine
parlamentarische Ermittlung über die Flüge und die CIA-Geheimgefängnisse in
Europa einzuleiten. Das Parlament wollte Polen prüfen, Mitglied der
Europäischen Union, und Rumänien, Anwärter auf Mitgliedschaft. Ein
Ad-hoc-Ausschuss aus 46 Abgeordneten wurde gebildet. Die Kommission hatte
bedeutende Mittel - 13 Personen vom Sekretariat der Europäischen Union
arbeiteten nur für diese Angelegenheit. Der Ausschuss trat jede Woche
zusammen und legte den Schwerpunkt auf Vernehmungen. Obwohl diese
Vernehmungen hinter geschlossenen Türen stattfanden, war es nicht möglich,
eine Geheimhaltung zu garantieren. Ich hingegen, der ich allein arbeitete,
konnte garantieren, dass die Quellen geheimgehalten wurden. Wir hatten also
völlig unterschiedliche Methodologien und Herangehensweisen.

Im Januar 2006 habe ich den ersten Zwischenbericht vorgelegt und den
Hauptbericht anfang Juni 2006. Ich habe wichtige Hilfe von der mailändischen
Staatsanwaltschaft erhalten können. Ich kannte die Staatsanwälte persönlich,
die damit befasst waren, im Verschwinden von Abu Omar zu ermitteln, einem
Ex-Imam der Moschee von Mailand ägyptischer Herkunft, der mehrere Jahre
zuvor in Italien politisches Asyl erhalten hatte. Diesen Staatsanwälte war
es gelungen zu beweisen, dass Abu Omar im Februar 2003 von Agenten
amerikanischer Geheimdienste entführt und in einem Lieferwagen nach Aviano
transportiert worden war, dem italienischen NATO-Militärstützpunkt. Von
Aviano brachte man ihn nach Ramstein, wobei die Schweiz überflogen wurde.
Dann wurde er von Ramstein nach Kairo überführt, wo er den ägyptischen
Behörden übergeben wurde, die ihn gefoltert haben.

Ich möchte hier die Wichtigkeit der Unabhängigkeit der Justiz
unterstreichen. Die mailändische Staatsanwaltschaft hat trotz der offenen
Feindseligkeit der Berlusconi-Regierung etwas unternommen, die alles
versucht hat, um die Ermittlung zu sabotieren. Dank der hervorragenden
Arbeit der Staatsanwälte und gewisser Dienststellen der mailändischen
Polizei, die eine Ermittlung von bemerkenswerter Qualität geführt haben,
wurden 25 CIA-Agenten, die in die Entführung des Imam verwickelt sind,
identifiziert. So konnte die Staatsanwaltschaft von Mailand internationale
Haftbefehle für 22 von ihnen ausstellen.

Die mailändischen Staatsanwälte haben mir alle Ermittlungsdokumente zur
Verfügung gestellt. Eine Woche lang habe ich sie mir genau durchgelesen. Ich
erlangte dabei die Gewissheit, dass ich richtig lag und wir unter dem
Einfluss eines Systems, einer hochentwickelten Logistik standen. Es war
unmöglich, dass solche Dinge ohne Mitwirkung der lokalen Behörden in der
einen oder anderen Weise passieren konnten oder dass das Pentagon und die
CIA die einzigen Dienste sein konnten, die in diese "außerordentlichen
Überstellungen" verwickelt waren.

Was bedeutet der Begriff "außerordentliche Überstellungen", der offiziell
von der CIA benutzt wird?

In der Praxis bedeutet es, Personen gefangen zu halten, die verdächtigt
sind, eine Verbindung zum Terrorismus zu haben, ohne dass diese Anklage
gerichtlich geprüft werden könnte, und sie an die Regierungen ihrer
Herkunftsländer zu überführen, wo sie brutalen Vernehmungen ausgesetzt sind.

Ziel dieser geheimen "Überstellungen" ist es, den gefangen gehaltenen
Personen Auskünfte durch Folter abzunötigen und unter dem Druck von
Bedrohungen zu erreichen, dass sie mit den Geheimdiensten kollaborieren und
sich praktisch wie infiltrierte Agenten verhalten. CIA-Agenten haben auf
Grundlage dieses Begriffs der "Überstellungen" wahrscheinlich mehr als
hundert Personen gefangen gehalten. Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt kein
präzises Datenmaterial.

Als die Öffentlichkeit vom System der "außerordentlichen Überstellungen"
erfuhr, hat es rege Debatten in den Vereinigten Staaten gegeben. Man hat
dann versucht, die "außerordentlichen Überstellungen" mit Gesetzen zu
rechtfertigen. Der Jurist, der die Theorie dieses Systems entwickelt hat,
ist der amtierende Justizminister, Roberto Gonzales, der im amerikanischen
System auch Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten ist.

Diese "Überstellungen" - und das war mir von Anfang an klar - setzen eine
Logistik voraus, also die Existenz von Übergangsinhaftierungszentren. Es
stellte sich später heraus, dass viele von den gefangengehaltenen Personen,
die nicht in ihre Herkunftsländer überführt worden waren, in
Geheimgefängnissen inhaftiert wurden, sei es in Bagram in Afghanistan, Abu
Ghraib in Bagdad oder in Guantánamo.

Am 5. Dezember 2005 hat uns Frau Rice bei ihrer Rechtfertigung der
"außerordentlichen Überstellungen" und der Existenz von Guantánamo einen
wichtigen Hinweis gegeben, als sie erklärte, dass "die Vereinigten Staaten
nicht die Souveränität der europäischen Staaten verletzt hätten". Ich denke,
Frau Rice hat in diesem Fall die Wahrheit gesagt. Mit diesen Worten
enthüllte sie, dass das, was über Geheimgefängnisse in verschiedenen
europäischen Ländern aufgedeckt worden war, in Zusammenarbeit mit den
Regierungen der betreffenden Staaten geschah; insofern hatte es seitens der
Vereinigten Staaten keine Verletzung der Souveränität gegeben. Frau Rice
wollte den Europäern, die die Vereinigten Staaten kritisiert haben, damit zu
verstehen gegeben: "Kommen Sie sich nicht zu klug vor, Sie selbst haben zu
anderen Zeiten das System der außerordentlichen Überstellungen angewandt".

Frau Rice bezog sich dabei auf den Fall des Terroristen Carlos, der im Sudan
von französischen Geheimdiensten entführt worden war. Der große Unterschied,
den Frau Rice dabei nicht nannte, ist, dass Carlos an die französische
Justiz überstellt worden war, er einen fairen Prozess bekam und den
Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte in Straßburg in Anspruch nehmen
konnte. Es gibt hier also einen grundlegenden Unterschied. Diese Art von
"Überstellungen" kann man verteidigen, wenn sich die gesuchten Personen in
Ländern befinden, die entweder nicht mit der Justiz zusammenarbeiten oder
die nicht in der Lage sind, gesuchte Personen zu verhaften und zu
überstellen; wenn also das Ziel darin besteht, die entführten Personen der
Justiz zu übergeben.

In Bezug auf unsere Ermittlungen wurden wir besonders in Polen und in
Rumänien mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Menschen, die wir in
diesen Ländern getroffen haben, waren durch und durch von dem Gedanken
terrorisiert, ihre Aussagen könnten ihrem Land schaden. Besonders in
Rumänien, wo es inzwischen zu einer Frage des nationalen Interesses geworden
ist, nichts zu sagen, was den Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union
gefährden könnte.

Die Rolle von Ländern wie der Schweiz bei der Zusammenarbeit mit
CIA-Verschleppungen hat sich als geringfügig herausgestellt, auch wenn dabei
wichtige Fragen aufgeworfen wurden. Die Tatsache, dass Länder wie Schweden
darin verwickelt sind, ist höchst beunruhigend. Die schwedische Polizei hat
CIA-Agenten spontan zwei Ägypter übergeben, die Asyl erhalten hatten. Es
gibt Zeugenaussagen der Polizei, die bestätigen, dass die CIA"Agenten diese
Ägypter schon am Flughafen Misshandlungen unterzogen. Sie wurden dann nach
Kairo gebracht und unterlagen dort den gleichen Folterhandlungen wie Imam
Abu Omar. Für diese Affäre ist Schweden von der Uno-Kommission gegen Folter
verurteilt worden.

Auch andere Länder, wie Bosnien, haben Personen spontan ausgeliefert. Als
wir die bosnischen Behörden befragten, haben sie dies zugegeben und
bedauert.

Auch Kanada hat bei illegalen Verschleppungen aktiv mit der CIA
kollaboriert. Dieses Land hat übrigens kürzlich eine Entschädigung von zehn
Millionen Dollar an eine Person kanadischer Herkunft gezahlt, die mehrere
Jahre lang in Guantánamo inhaftiert worden war, obwohl ihr absolut nichts
vorgeworfen werden konnte.

In den USA haben die freigelassenen Personen weder eine Entschuldigung noch
eine Entschädigung erhalten. Derzeit gibt es 500 Rechtsanwälte in den USA,
die zusammenarbeiten und die es übernommen haben, die Interessen dieser
entführten Personen zu verteidigen. Dies wird zu einer Reihe von
gerichtlichen Aktionen gegen die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika führen.

Diese Übersicht der Fakten bedarf einiger Überlegungen.

Die Regierung der Vereinigten Staaten hat eine Wahl getroffen, die auf
folgenden Erwägungen basiert: Der Terrorismus stellt eine derart ernste
Bedrohung dar, dass unser Land sich als im Krieg befindlich ansehen muss. In
diesem Krieg ist unser Rechtssystem völlig unfähig, den Terrorismus zu
bekämpfen. Daher keine Justiz, daher Guantánamo, daher Geheimgefängnisse,
daher keine Gerichtsverhandlungen und gar nichts. Wir müssen um jeden Preis
Informationen bekommen.

Sobald man aber von "Krieg" spricht, spricht man notwendigerweise auch von
Kriegsrecht. Und wenn man von Kriegsrecht spricht, spricht man auch von den
Genfer Konventionen; und wenn man von den Genfer Konventionen spricht,
bedeutet das, dass man die Namen aller Gefangenen dem Internationalen
Komitee des Roten Kreuzes meldet und dessen Inspektionen erlauben muss.

Doch vertreten die Vereinigten Staaten wiederum die Einschätzung, dass die
Genfer Konventionen kein adäquates Instrument zur Bewältigung des
Terrorismus seien. Sie haben einen dritten Weg gewählt, nämlich den der
Willkür - nicht den der Justiz, nicht den des internationalen Rechts. Dieser
Weg der Willkür ist allerdings nicht auf amerikanischem Boden anwendbar und
auch nicht auf amerikanische Bürger. Man hat also eine Art von gesetzlichem
Apartheidsystem eingeführt, ein Modell, dass freilich unserem Verständnis
und unserer juristischen Tradition ganz fremd ist. Dennoch haben die
europäischen Staaten dieses System stillschweigend akzeptiert.

Langsam zeigen uns die Fakten, dass wir Recht haben. Die meisten
europäischen Regierungen haben auf die eine oder andere Weise aktiv mit den
USA zusammengearbeitet, um diese Doktrin der "außerordentlichen
Überstellungen" zu verabschieden. Sie haben an ihrer Umsetzung teilgenommen
mit allem, was das mit sich führt, sei es dadurch, dass sie sie toleriert
haben oder dadurch, dass sie darüber Bescheid wussten und nicht dagegen
protestiert haben. Zugegeben, es hat einige mehr oder weniger höfliche
Proteste gegen Guantánamo gegeben. Was aber die "außerordentlichen
Überstellungen", die geheimen Inhaftierungen und die Anwendung von Folter
angeht, so taten sie so, als ob sie nichts wussten.

Als ich von den italienischen Ermittlungsdokumenten erfuhr, habe ich Kontakt
zu meinem ehemaligen Kollegen Armando Spataro aufgenommen, dem
stellvertretenden Staatsanwalt von Mailand und Ermittler im Entführungsfall
Abu Omar. Ich teilte ihm meine Überzeugung mit, dass all dies nur mit
Beteiligung der Polizei oder den italienischen Geheimdiensten hatte
passieren können. Dies war auch seine Meinung.

Im selben Moment machte der Chef der italienischen Militärgeheimdienste,
Herr Nicola Pollari, vor dem parlamentarischen Ermittlungsausschuss des
Europäischen Parlaments in Brüssel eine Aussage, in der er jede Mitwirkung
in dieser Angelegenheit dementierte und sagte, dass er nie etwas davon
gewusst und überhaupt nicht an dieser Art von Aktivitäten teilgenommen habe.

Dabei ist heute zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr Pollari von der neuen
Regierung abberufen wurde und er in Mailand vor Gericht steht, da bewiesen
wurde, dass die italienischen Geheimdienste, die er leitete, bei der
Entführung von Abu Omar eng mit CIA-Geheimagenten zusammengearbeitet hatten.
Heute steht fest, dass die erste Person, die sich Abu Omar genähert hatte,
um ihm zu verstehen zu geben, dass es sich um "Polizei" handelte, die "nach
Papieren fragte", ein Beamter der italienischen Auskunftsdienste war, der
dies selbst gestanden hat. Wenige Sekunden danach wurde Omar in einen
Lieferwagen verladen und den CIA-Agenten übergeben.

Die Teilnahme an den Machenschaften der CIA-Geheimdienste war sehr rege, wie
man auch in anderen Ländern beobachten konnte.
Was mich sehr während dieser Ermittlung beeindruckt hat - vielleicht war ich
zu naiv und bin es noch immer - war, bis zu welchem Grad die europäischen
Regierungen aktiv oder durch Unterlassung gelogen haben und weiterhin lügen.
Sie lügen oder lehnen jedenfalls ab, die Wahrheit zu sagen, indem sie sich
ein gutes Gewissen einreden mit Rechtfertigungen wie: Es ist in höherem
Staatsinteresse, oder: Es gibt ein Staatsgeheimnis und also kann, ja: muss
man lügen!

Gestern hat die Staatsanwaltschaft München 13 Haftbefehle gegen
CIA-Geheimagenten erlassen, die angeklagt werden, Khaled El-Masri entführt
zu haben, einen deutschen Bürger libanesischer Herkunft. Ich habe Khaled
El-Masri getroffen, als ihm in Deutschland noch niemand glaubte. Er ist nach
Mazedonien entführt und nach Kabul verschleppt worden, wo er mehrere Monate
lang Folterhandlungen ausgesetzt war. Er wurde darauf nach Europa
zurückgebracht, irgendwo in Albanien befreit und schließlich, nach langem
Kampf, konnte bewiesen werden, dass Khaled El-Masri damit die Wahrheit
gesagt hatte, dass er von CIA-Geheimagenten entführt worden war, sicherlich
in Zusammenarbeit mit deutschen Agenten.

Als ich den deutschen Staatsanwalt traf, übermittelte ich ihm die
Informationen, die wir in Mazedonien erhalten hatten. Gestern teilte die
Staatsanwaltschaft München mit, dass sie Dank der Zusammenarbeit und den
gesammelten Informationen der spanischen Polizei, der mailändischen
Staatsanwaltschaft und des Berichterstatters des Europarats, Dick Marty,
erfolgreich der Spur der 13 CIA-Agenten nachgehen konnten.

Ich sage dieses nicht, um mich zu loben, sondern einfach nur, um zu zeigen,
dass, wenn eine Person zu diesem Ergebnis gelangen konnte, die nur mit einem
Mitarbeiter arbeitet, wir in der Wahrheitsfindung sehr viel weiter hätten
kommen können, wenn es nur ein wenig Willen seitens der europäischen
Regierungen, einschließlich der Schweiz, gegeben hätte.

Meine Überzeugung ist - ich kann es noch nicht beweisen -, dass die
europäischen Regierungen geheime Abkommen mit den Vereinigten Staaten
unterzeichnet haben, wahrscheinlich infolge der starken Emotion, die durch
die Ereignisse vom 11. September 2001 ausgelöst wurde. Das könnte das
Schweigen erklären, es allerdings nicht entschuldigen.

Die Schweiz ist von der Kritik nicht ausgenommen. Die Flugzeuge, die der
US-Regierung gehören, benötigen eine jährliche Flugerlaubnis. Die
CIA-Flugzeuge bewegen sich in ganz Europa. Die Mehrheit dieser Flüge dient
dazu, das logistische Material der CIA, die Büros überall in der Welt hat,
zu transportieren.

Der Bund hat diese Flugkonzession erneuert, obwohl er wusste, dass
CIA-Flugzeuge diese Konzession offenbar missbraucht hatten, indem sie den in
Mailand entführten Abu Omar durch den schweizerischen Luftraum transportiert
hatten. Dies stellt eine kriminelle Handlung dar und es liegt in der
Zuständigkeit der strafrechtlichen Behörden unseres Landes, die Täter zu
finden und zu bestrafen.

Als der Bundesrat nach der Anzahl der Flüge und Landungen von CIA-Flugzeugen
in der Schweiz befragt wurde, haben unsere Behörden geantwortet: drei Flüge.
Eine Stunde nach diesem Geständnis hat Amnesty International vier Flüge
nachgewiesen. Heute wissen wir, dass es mindestens 48 Flüge gegeben hat. Wir
hätten es geschätzt, wenn der Bundesrat eine präzisere Auskunft über die
Anzahl dieser Flüge gegeben hätte!

Wie bereits erwähnt ist der Transit von Flugzeugen, die entführte Personen
transportieren, ein Verbrechen, das unter die Zuständigkeit der Schweizer
strafrechtlichen Behörde fällt. Es hat sehr lange gedauert, bis die
Bundesstaatsanwaltschaft sich entschieden hat, eine Untersuchung
einzuleiten, obwohl Dokumente der italienischen Staatsanwälte erdrückende
Beweise dahingehend erbrachten, dass das Flugzeug, das Abu Omar
transportierte, die Schweiz überflogen hatte. Als wir beim Bundesamt der
Zivilluftfahrt anfragten: "Hat dieses oder jenes Flugzeug am 13. Februar
2003 die Schweiz überflogen?", hat man uns prompt geantwortet: "Ja, mein
Herr, zweimal! Am Morgen aus Ramstein nach Aviano und am Nachmittag von
Aviano nach Ramstein." Es war das gleiche Ziel und der gleiche Zeitplan wie
in den Dokumenten der italienischen Polizei.

Wir denken daher, dass es so gut wie sicher geheime Abkommen gegeben hat; es
hat aber auch eine entsprechende Politik gegeben, Interessen, die sich gegen
die Werte und politischen Grundsätze durchsetzten. Ich bin mir vollkommen
darüber bewusst, dass die Rolle der Regierung darin besteht, die Interessen
des Landes zu wahren und dass es Konfliktsituationen geben kann. Persönlich
hätte ich es jedoch vorgezogen, wenn man, anstatt zu lügen, uns frei heraus
gesagt hätte: Mit den USA stehen starke Interessen auf dem Spiel, wir können
uns nicht mit ihnen zerstreiten.

Für die Schweizer Behörden bedeutet all dies, dass es ein Fehlen des
politischen Willens gegeben hat, die Wahrheit herauszufinden. Ich habe heute
die starke Überzeugung - ich wiederhole dies -, dass es geheime, formelle
oder informelle Abkommen zwischen den USA und der Schweiz gegeben hat, wie
auch mit anderen europäischen Ländern. Und wenn diese Abkommen lediglich auf
der Ebene der Informationsdienste abgeschlossen worden sind, wäre dies sogar
noch beunruhigender.

In den letzten Tagen haben wir durch die Presse erfahren, dass die
Bundesstaatsanwaltschaft direkt oder über die Polizei Ermittlungen in
Guantánamo unternommen hat. Die Schweizer Behörden haben den Behörden der
USA Namenslisten und Fotos von Muslimen übermittelt, die in der Schweiz
inhaftiert sind, um von den Gefangenen in Guantánamo Auskünfte über sie zu
erhalten. Dies läuft darauf hinaus zu akzeptieren, dass man Auskünfte unter
Folter erpresst. Ich finde es schlicht skandalös. Einerseits sagt unsere
Außenministerin Frau Calmy-Rey freundlich zu Frau Condoleeza Rice, dass das
Gefängnis von Guantánamo unannehmbar sei, dass man es schließen müsse und
dass es gegen internationales Recht verstößt. Andererseits legitimieren
unsere Bundesbehörden diese Art von Strukturen inklusive der darin
enthaltenen Folter, indem sie Ermittlungen in Guantánamo machen. Dabei
wissen sie genau, dass etwaige unter Folter oder in Geheimgefängnissen
erhaltene Beweise von keinem Gericht in Europa akzeptiert werden könnten.

Während dieser Ermittlungsperiode fühlte ich mich oft sehr allein. Aber,
Ironie des Schicksals, heute kann ich Präsident Bush dafür danken, mir
indirekt eine wichtige Unterstützung geleistet zu haben, als er schließlich
am 6. September 2006 die Existenz dieser Geheimgefängnisse zugegeben hat.
Folglich hat mein Bericht über die Verschleppungen und die CIA-Flüge eine
besondere Bedeutung gewonnen.

Ein anderes ermutigendes und positives Element ist, was sich soeben in
Deutschland ereignet hat, wo die 13 Agenten des amerikanischen
Spionagedienstes, die Khaled El-Masri entführt haben, juristisch verfolgt
werden. Dazu kommt der Prozess in Mailand sowie die Schritte der spanischen
Justiz, die den Zugang zu allen Dokumenten über die CIA-Flugzeuge von den
spanischen Geheimdiensten fordert. Ich glaube, kurz gesagt, dass sich eine
Dynamik der Wahrheit in Gang gesetzt hat.

Ich war ebenfalls angenehm überrascht von der Qualität einiger NGOs in den
USA sowie auch von der Dynamik, die von Kreisen der Zivilgesellschaft zum
Ausdruck gebracht werden. Wenn bestimmte Tatsachen herausgekommen sind, so
geschah das teilweise dank dieser NGOs.

Es ist von wesentlicher Bedeutung, eine unabhängige Presse zu haben. Wir
haben gesehen, bis zu welchem Grad die Medien durch die Machthaber
beeinflusst werden. Es hat noch ein anderes, aufschlussreicheres Beispiel
gegeben: die Konditionierung der öffentlichen Meinung durch die Medien
zugunsten des Irak-Krieges. Es kann keine echte Demokratie geben ohne eine
wirklich unabhängige Presse, sowohl von der politischen als auch von der
wirtschaftlichen Macht.

Ein Element von großer Bedeutung ist die Unabhängigkeit der Justiz. Und wenn
ich Justiz sage, meine ich ganz besonders die Staatsanwaltschaft. Wenn
Italien in dieser Affäre die Wahrheit finden konnte, ist es dank der
Unabhängigkeit des Staatsanwalts, der trotz der Feindseligkeit der
politischen Macht handeln konnte. Im italienischen System wird die
Staatsanwaltschaft als eine in jeder Hinsicht unabhängige Justizbehörde
angesehen und die Polizei, die mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet,
unterliegt derselben Unabhängigkeit.

Ich bestehe auf diesen Punkt, denn in der Schweiz möchte der derzeitige Chef
des Justizdepartements und der Polizei die Kontrolle über die eidgenössische
Staatsanwaltschaft allein ausüben. Dies ereignet sich mitten in der völligen
Apathie der politischen Klasse, die den Eindruck erweckt, sich nicht für die
Probleme der Justiz zu interessieren. Ich finde, dass das sehr gefährlich
ist und man sollte unbedingt reagieren.

Kann der Kampf gegen den Terrorismus diese Praktiken rechtfertigen?

Jeden Tag begegne ich Menschen, die sagen: "Ach, der Terrorismus ist so
gefährlich. Wir müssen Folter akzeptieren, denn damit können Leben gerettet
werden." Ich finde diese Art von Erwägungen falsch und extrem gefährlich.

Terroristen sind gewiss gefährliche Leute, denn ihr Ziel besteht darin, mit
allen Mitteln unser System der Demokratie und westlichen Werte zu zerstören.
Es ist trotzdem schockierend, dass wir diese Terroristen bekämpfen, indem
wir selbst auf grundlegende Institutionen unseres demokratischen Systems
verzichten, indem wir auf das unentbehrliche Prinzip der Menschenrechte und
die Garantie auf gerechte Prozesse, auf unser gerichtliches System
verzichten. Indem wir uns so verhalten, geben wir diesen Menschen eine
indirekte Legitimation, die angesichts dieser Verletzungen heute zu der
Überzeugung gelangt sind, dass sie ein System bekämpfen, das brutal ist, das
illegal ist und das Folter anwendet. Vor allem können diese illegalen
Handlungen zu einer Sympathiebewegung gegenüber den Tätern terroristischer
Handlungen führen.

Als ich mit dem Chef des italienischen Antiterrorismus zusammengearbeitet
hatte, General Carlo Alberto dalla Chiesa, sagte er mir: "Die Terroristen
sind Amokläufer, aber sie sind nicht zahlreich; richtig gefährlich werden
sie erst, wenn sich eine Sympathieströmung für sie bildet; so etwas ermutigt
sie, motiviert sie, überreizt sie." Er illustrierte seine Worte mit diesem
Bild: "Die Sympathie ist für den Terrorismus wie der Sauerstoff für das
Feuer." Ich bin überzeugt, dass dies der Wahrheit entspricht.

Was mich ebenfalls während meiner Arbeit schockiert hat, war festzustellen,
dass es überhaupt keine Strategie im Rahmen dieses Krieges gegen den
Terrorismus gibt.

Die USA haben gesagt: keine Justiz, keine Genfer Konvention, wir geben den
Geheimdiensten und dem Pentagon freie Hand.

Es hat nie eine Debatte zwischen den USA und Europa über die Art und Weise
der Terrorismusbekämpfung gegeben. Es hat auch nie innerhalb Europas eine
echte Strategiedebatte gegeben.

Außerdem gibt es, so weit ich weiß, keine internationale Rechtsdefinition
für Terrorismus. Es gibt Übereinkommen, die von Terrorismus reden, aber es
gibt keine echte Definition von Terrorismus.

Ich denke, man sollte wohl einige Mechanismen des derzeitigen Systems der
polizeilichen und gerichtlichen Verfolgung ändern, anpassen. Ich behaupte,
dass die Demokratie und die Justizbehörden die Mittel haben, die Bedrohung
zu bewältigen, die der Terrorismus darstellt.

Ich glaube dass es noch andere Bedrohungen gibt, die ebenso gefährlich sind
wie der Terrorismus. Ich denke an Korruption, um nur ein Beispiel zu nennen,
das ein Übel auf der ganzen Welt ist und unermessliche Katastrophen
verursacht.

Das wirkliche Instrument der Terrorismusbekämpfung liegt auf der politischen
Ebene. Ich bin tief überzeugt, dass solange wir nicht das Palästinaproblem
lösen, solange wir keine politische Lösung und ein Leben in Würde für diese
Hunderttausende Palästinenser anbieten, die dort geboren und aufgewachsen
sind, die ihre Familienmitglieder in den Flüchtlinglagern haben sterben
sehen und die jede Hoffnung verloren haben, es leider weiterhin Menschen
dort geben wird, die sich in die Luft sprengen, wie vor kurzem diese
Großmutter in Gaza.

Wie soll man sich auch vorstellen, dass es keine Terroristen mehr gibt,
solange es Kriege gibt, die auf Lügen basieren?

Was mich am meisten beunruhigt und mich zutiefst in dieser Affäre schockiert
hat, ist die Gleichgültigkeit. Wie viele Leute haben mir gesagt: "Warum
machst du all das, es sind doch Terroristen! Die Amerikaner haben Recht."
Und sie fügen hinzu: "Es sind doch nur Muslime".

Was für eine Verirrung! Ich glaube, wir sind dabei, einen historischen
Fehler zu begehen, indem wir den Islam kriminalisieren. Wir forcieren die
gemäßigte Bewegung des Islams in Richtung des Extremismus; ich fürchte, dass
wir diesen Irrtum sehr teuer bezahlen werden.

Muss man Tyrannei mit den Instrumenten der Tyrannen bekämpfen? ist der
Titel, den ich dieser Konferenz geben wollte und es wird meine
Schlussfolgerung sein. Diese Formulierung ist nicht von mir. Ich habe sie in
einem Urteil vom Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten für einen
Fall von Terrorismus gefunden, der von Richterin Sandra Day O’Connor
geäußert wurde: "Wenn unser Land den Werten, die durch unsere Fahne
symbolisiert werden, treu bleiben will, können wir die Tyrannei nicht mit
den Instrumenten der Tyrannen bekämpfen."

Übersetzung
Monica Hostettler
Anis Hamadeh

Redaktion Silvia Cattori, in
Abstimmung mit Dick Marty