Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte am 18. Oktober im Fernsehen: "Die Achse des Terrors, die vom Iran aufgebaut wurde, bricht vor unseren Augen zusammen. Nasrallah ist tot. Sein Stellvertreter Mohsen ist tot. Haniyeh ist tot. Deif ist tot. Sinwar ist tot. Die Schreckensherrschaft, die das iranische Regime über sein eigenes Volk und die Menschen im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen verhängt hat, wird ebenfalls enden. Alle, die eine Zukunft in Wohlstand und Frieden im Nahen Osten anstreben, sollten sich zusammenschließen, um eine bessere Zukunft aufzubauen. Gemeinsam können wir die Mächte der Finsternis zurückdrängen und eine Zukunft des Lichts und der Hoffnung für uns alle schaffen. »

Seit einem Jahr haben wir stolze Erklärungen und Drohungen der israelischen und iranischen Behörden erlebt. Beide versichern uns wie dressierte Kampfhähne, dass wir sehen werden, was wir sehen werden, und dass ihre Antwort endgültig und schmerzhaft sein wird. Die beiden iranischen Angriffe (Operation "Ehrliches Versprechen" vom 13. April und 1. Oktober) und die beiden israelischen Angriffe (19. April und 26. Oktober) hielten jedoch ihre Versprechen nicht ein. Weder Teheran noch Tel Aviv haben versucht, die strategischen Ziele ihres Gegners zu zerstören.

Vor einem Monat habe ich einen Artikel ["Iran und Israel“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich , Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 8. Oktober 2024.]] veröffentlicht, in dem ich die tiefen und zahlreichen Verbindungen zwischen einem Teil der iranischen herrschenden Klasse und den "revisionistischen Zionisten" [1] hervorhob. Ich habe die Tatsache betont, dass diese Gruppen in ihren eigenen Ländern nur eine sehr kleine Minderheit sind, obwohl erstere mehrmals die Präsidentschaft der Islamischen Republik innehatten und letztere derzeit an der Spitze des jüdischen Staates stehen. Selbst wenn es schwer ist, zuzugeben, dass keines dieser beiden Länder eine Demokratie ist und ihre Führer Reden halten können, die sehr weit von der Realität entfernt sind, ohne von ihrem Volk gestürzt zu werden (obwohl die Iraner den Schah vor 45 Jahren gestürzt haben).

Beiden Armeen war es zwar verboten worden, ihre Gegner schwer zu treffen, begnügten sich jedoch nicht mit der Inszenierung von Feuerwerken. Sie haben ihre Raketen, Boden-Boden-Raketen für den Iran und Luft-Boden-Raketen für Israel, genutzt, um ihre gegenseitigen Flaksysteme zu testen und zu versuchen, ihre offensiven Fähigkeiten zu zerstören (Iran durch Angriffe auf den Luftwaffenstützpunkt der F-35 Kampfjets und Israel durch Angriffe auf Fabriken, die Festbrennstoff für Hyperschallraketen herstellen).

"Die Vereinigten Staaten und die Zionisten werden eine überwältigende Antwort auf das erhalten, was sie gegen den Iran und den Widerstand tun", sagte Ayatollah Ali Khamenei, Oberster Führer der iranischen Revolution, am 2. November 2024.

Heute scheint es so zu sein, dass die iranischen Streitkräfte Israel überall angreifen könnten, ohne dass Israel und seine westlichen Verbündeten in der Lage wären, deren Hyperschallraketen, wenn sie noch welche haben, abzuschießen. Viel problematischer für die israelische Luftwaffe ist es, den Iran in der Tiefe zu bombardieren. Seine Flugzeuge haben erhebliche Schwierigkeiten, die Grenzen der Islamischen Republik zu erreichen, um ihre Luft-Bodenraketen abzufeuern. Aber Israel weiß, dass es mit der Luftbetankung seiner Flugzeuge durch die US-Luftwaffe und mit der Passivität der arabisch-zionistischen Regime, d.h. der Jordanier und der Saudis, rechnen kann.

Auf politischer Ebene ist anzumerken, dass die letzte israelische Operation (die vom 26. Oktober) als Reaktion auf den Angriff des palästinensischen Widerstands am 7. Oktober 2023 (Operation "Al-Aqsa-Flut") gerechtfertigt wurde. Tatsächlich konnte Tel Aviv nicht behaupten, auf den Bombenanschlag vom 13. April zu reagieren, der als Vergeltung für den Bombenanschlag auf die iranischen diplomatischen Einrichtungen in Damaskus am 1. April verübt wurde, der an sich schon einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht darstellte. Es konnte sich auch nicht auf die iranischen Bombenangriffe vom 1. Oktober berufen, die eine Reaktion auf die Ermordung eines ausländischen Führers auf seinem Territorium (Ismaël Haniyeh, am 31. Juli) und der Ermordung von General Abbas Nilforoushan im Libanon (während der Ermordung von Hassan Nasrallah am 27. September) waren.
Für Tel Aviv wird es immer schwieriger, sein Vorgehen nach internationalem Recht glaubwürdig zu rechtfertigen: Den Iran für den Palästina-Angriff vom 7. Oktober 2023 verantwortlich zu machen, wurde damals nicht erwähnt und es gibt auch keine neuen Erkenntnisse, die dies zulassen könnten. Es ist sogar ein völliger Nonsens, angesichts der Doktrin der "Achse des Widerstands" von General Qassem Soleimani, nach der jede nationale Einheit in völliger Unabhängigkeit handeln muss. Dies ist einfach nur eine Wiederbelebung des westlichen Narrativs, dass diese nationalen Einheiten nämlich nur Stellvertreter (Proxys) des iranischen Imperialismus seien.

In Israel wurde der iranische Angriff vom 26. Oktober 2024 ein Jahr später als Strafe für das "schlimmste Pogrom" der Geschichte, das vom 7. Oktober 2023, dargestellt. Stellen wir zunächst einmal fest, dass die Gleichsetzung der Aktion des palästinensischen Widerstands gegen eine koloniale Realität, mit einem Pogrom, d.h. mit einer antisemitischen Aktion, eine Absurdität ist; so hat Francesca Albanese, die Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten, es ausgedrückt und betont.
Dann sollte man beachten, dass Israel dieses Angriffs bereits genau an seinem ersten Jahrestag gedacht hat. Dieses zweite Datum bezieht sich laut dem jüdischen liturgischen Kalender auf das Fest Simcha Tora, das in diesem Jahr drei Wochen nach dem Feiertag von 2023 fiel. Der Staat Israel hat sich jedoch bisher noch nie auf den liturgischen Kalender berufen. Schon die Wahl des Namens "Staat Israel" bei der Selbstausrufung durch seine Armee am 14. Mai 1948 zielte darauf ab, nicht zwischen der von säkularen Juden gewünschten "Republik Israel" und dem von religiösen Juden gewählten "Königreich Israel" wählen zu müssen.
Wir sind also Zeugen einer Entwicklung zu einer akzeptierten Theokratie in "Jerusalem", wie in Teheran (ich setze Jerusalem hier in Anführungszeichen, weil es nicht die international anerkannte Hauptstadt des jüdischen Staates ist).

Die Haltung des Iran ist für seine regionalen Verbündeten unverständlich. Teheran hat Israel nicht so angegriffen wie angekündigt, und hat sich geweigert, der Hisbollah zu Hilfe zu kommen. Teheran warnte den Westen im Voraus vor seinem Angriff, und hat ihm damit ermöglicht seine Raketen abzufangen, und setzt seine Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten fort. Damit setzte Teheran selbst der "Achse des Widerstands" ein Ende. Gleichzeitig drängte Teheran die Hisbollah, zuerst Sayyed Hashem Safieddine als Nachfolger von Sayyed Hassan Nasrallah und dann, nach dessen Ermordung, Scheich Naim Qassem zu wählen. Safieddine war aber vor allem "Teherans Mann" und Qassem ist "der Mann der Mullahs". Beide, so respektabel sie auch sein mögen, war der Erste und ist der Zweite auch nicht in der Lage, die Unabhängigkeit der Hisbollah zu wahren. Der libanesische Widerstand wird zweifellos weitergehen, mit oder ohne Teheran, das heißt mit oder ohne die Hisbollah.
Der iranische Präsident Masoud Peseschkian inszeniert die Wende seines Landes und verkündet immer wieder, dass, "wenn die Muslime vereint sind" (was sie nicht sind), das zionistische Regime nicht mehr in der Lage sein wird, Verbrechen zu begehen.
Die Kehrtwende der Hamas ihrerseits ist bereits spürbar. Es ist zwar unklar, wer die Nachfolge von Yahya Sinwar angetreten hat, aber am wahrscheinlichsten ist, dass die Organisation nun in Gaza von einem Hardliner der Muslimbruderschaft, Khalil Hayyeh, geführt wird. Auf diese Weise wird die Hamas zu dem zurückkehren, was sie vor 2017 war: eine islamistische politische Partei, die gegen die säkulare Fatah (d.h. gegen andere Palästinenser) und nicht als Widerstandsnetzwerk gegen die israelische Kolonisierung kämpft.

Schon wieder einmal erleben wir einen jener historischen Momente der Neuzusammenstellung von Bündnissen, bei denen die Logik der Institutionen nicht die der Anliegen ist, die sie zu verteidigen vorgeben.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1Der Schleier zerreißt: Die verborgenen Wahrheiten von Jabotinsky und Netanjahu“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich , Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 23. Januar 2024.