Die Theorie des islamischen Weltkomplotts und des Zusammenpralls der Kulturen ist seit 1990 schrittweise ausgearbeitet worden, um dem US-amerikanischen militärisch-industriellen Komplex nach der Auflösung der UdSSR eine Ersatzideologie zu liefern. Der britische Orientalist Bernard Lewis, der US-Stratege Samuel Huntington und der französische Berater Laurent Murawiec sind die Haupterfinder dieser Theorie. Sie erlaubt die – nicht immer ganz rationale – Rechtfertigung des US-amerikanischen Kreuzzugs ums Öl.
Die Attentate des 11. September 2001, von der Bush-Regierung einer „islamischen Verschwörung“ zugeschrieben, wurden in den Vereinigten Staaten und Europa als erste Manifestation eines „Kampfes der Kulturen“ interpretiert. Die arabisch-moslemische Welt soll in einen Krieg gegen die jüdisch-christliche eingetreten sein. Für diese Konfrontation soll es keine Lösung geben außer den Triumph der einen Seite auf Kosten der anderen – im Falle des Islam die Durchsetzung eines weltweiten Kalifats (das heißt eines islamischen Imperiums), im Falle der „amerikanischen Werte“ der Sieg unter Beteiligung eines modernisierten Islam in einer globalisierten Welt.
Eine apokalyptische Doktrin
Die Theorie der islamischen Verschwörung und des Kampfes der Kulturen bietet eine ganzheitliche Erklärung der Welt an. Sie ordnet die Welt nach dem Verschwinden der UdSSR. Es gibt keine mit antagonistischen Ideologien angefeuerte Ost-West-Konfrontation mehr zwischen zwei Supermächten, sondern einen Krieg zwischen zwei Kulturen, oder besser gesagt zwischen der modernen Zivilisation und einer archaischen Form der Barbarei.
Mit dem Ansatz, der Islam liege im Krieg mit den amerikanischen Werten, geht diese Theorie als Erstes davon aus, dass der Islam nicht modernisierbar ist. Diese Kultur sei nicht zu trennen von der arabischen Gesellschaft des VIII. Jahrhunderts, deren Strukturen – besonders die unterlegene Stellung der Frau – sie verewigt. Sie kann sich ihre Ausbreitung nur durch Gewalt nach dem Modell der Kriege des Propheten vorstellen.
Diese Theorie behauptet gleichermaßen, dass „Amerika“ der Träger von Freiheit, Demokratie und Wohlstand ist, dass es die Modernität verkörpert und den Endpunkt des Fortschritts und das Ende der Geschichte darstellt.
Der 11. September 2001 ist die erste Schlacht in diesem Krieg der Kulturen, so wie Pearl Harbour für die Vereinigten Staaten die erste Schlacht des Zweiten Weltkriegs ist. Das besagt, dass dieser Krieg seinen Vorgängern nicht ähnlich ist. Während der beiden ersten Weltkriege haben sich Militärbündnisse einen Kampf der Titanen geliefert. Im Verlauf des Kalten Krieges wurden die militärischen Kämpfe auf die peripheren Gebiete beschränkt, sogar auf Konflikte von geringer Intensität (Guerillas), während die zentrale Konfrontation der ideologische Kampf zweier Supermächte war. Im Laufe des vierten Weltkriegs, der im Entstehen begriffen ist, verschwinden die klassischen militärischen Schlachten zugunsten von asymmetrischen Kriegen: Eine einzige Macht als Führer aller Staaten bekämpft einen nichtstaatlichen Terrorismus, der allgegenwärtig ist.
Es handelt sich jedoch nicht um einen Krieg zwischen staatlicher Willkürherrschaft und Gruppen von Einwohnern, sondern im Gegenteil um einen Aufstand der Demokratien gegen die islamische Tyrannei, die die arabisch-moslemische Welt unterdrückt und versucht, ein weltweites Kalifat aufzuzwingen.
Dieser Kampf zwischen Gut und Böse hat seinen Kristallisationspunkt in Jerusalem. In der Tat soll dort, am Ende des Armageddon, die Wiederkehr des Christus stattfinden, die den Triumph der „offensichtlichen Bestimmung“ der Vereinigten Staaten prägen wird, der „einzigen freien Nation auf der Erde“, durch die göttliche Vorsehung beauftragt, „dem Rest der Welt das Licht des Fortschritts“ zu bringen. Von nun an ist die bedingungslose Unterstützung Israels gegenüber dem islamischen Terrorismus eine patriotische und religiöse Pflicht für alle Bürger der Vereinigten Staaten, selbst wenn die Juden nur auf das Heil hoffen dürfen, wenn sie zum Christentum konvertieren.
Ein Komplex
Diese Darstellung der Theorie des islamischen Komplotts und des Kampfes der Kulturen ist ganz und gar keine Übertreibung. Sie bleibt dem treu, was die Medien und die politischen Parteien in den USA verbreiten. Man kann sich selbstverständlich gleichzeitig mit den zugrunde liegenden Vorurteilen, dem inneren Zusammenhang der Theorie und ihrer irrationalen Natur beschäftigen.
Die Konzepte der arabisch-moslemischen Welt und der jüdisch-christlichen Welt sind in sich anfechtbar. Ursprünglich bezeichnet der Begriff jüdisch-christlich nicht die Menge der Juden plus Christen, sondern im Gegenteil die Gruppe der ersten Christen, als sie noch Juden waren, bevor die Kirche sich von der Synagoge trennte. Ende der sechziger Jahre, das heißt nach der Annäherung zwischen Israel und den USA und dem Sechs-Tage-Krieg, erhielt dieser Begriff aber eine politische Bedeutung. Er bezeichnet den Nordatlantikpakt-Block, Westen genannt, gegenüber dem sowjetischen Block, als Osten bezeichnet.
Hier ist ein Recycling der Begriffe zu beobachten: Der Westen bleibt bis heute in etwa der gleiche, während sein Gegner nicht mehr der Osten, sondern der Orient ist. Diese Konzepte haben nichts mit Geografie und nichts mit Kultur zu tun, sondern sind ausschließlich Propaganda. So sind Australien und Japan politisch westlich wie übrigens auch zwei europäische Staaten mit moslemischer Bevölkerung, die Türkei und Bosnien-Herzegowina. Hier stößt man auch auf ein großes Problem: In zahlreichen Staaten und besonders rund um das Mittelmeer ist es gegenwärtig unmöglich, die jüdisch-christliche Kultur und die arabisch-moslemische voneinander abzugrenzen. Der Kampf der Kulturen legt somit nahe, Bürgerkriege anzustiften, um die Bevölkerungsgruppen voneinander zu trennen. Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet Jugoslawien eine erfolgreiche Erfahrung. Die Durchführung und der Abschluss des Separationsplans beinhalten die Aufgabe des säkularen Idealismus. Deshalb ist es auf lange Sicht unvermeidlich, dass der wichtigste strukturelle Widerstand im Innern des „westlichen“ Lagers die französische Republik ist [1].
Im Übrigen setzt das Vorurteil, demzufolge der Islam mit Modernität und Demokratie nicht vereinbar wäre, eine große Ignoranz voraus. Der Ausdruck arabisch-moslemische Welt unterstreicht, dass der Islam heute sehr viel weiter reicht als die arabische Welt, aber gleichzeitig ist die Vorstellung, die man sich davon macht, äußerst dürftig. Sehr wenige US-Amerikaner wissen, dass Indonesien der wichtigste moslemische Staat der Welt ist. Kann man vernünftigerweise behaupten, Abu Dhabi und Dubai wären weniger modern als Kansas? Kann man aufrichtig bestätigen, dass Bahrain weniger demokratisch ist als Florida? Einer der Zwecke dieses Diskurses ist es, den Islam an das Arabien des achten Jahrhunderts anzugleichen, aber kommt es irgendjemandem in den Kopf, das Christentum mit der nahöstlichen Antike gleichzusetzen?
Entsprechend beruht diese Theorie auf dem Glauben an die „amerikanischen Werte“. Und es handelt sich wirklich um Glaubensüberzeugungen, denn wie kann man für ein Land eine solche Hochachtung aufbringen, dessen Verfassung die Volkssouveränität nicht anerkennt, dessen Präsident nicht gewählt, sondern ernannt wird, wo die Korruption der Abgeordneten nicht verboten, sondern gesetzlich geregelt ist, wo die Beschuldigten heimlich festgehalten werden können, was ein Konzentrationslager in Guantanamo unterhält, welches die Todesstrafe und die Folter praktiziert, wo die Herausgeber der großen Zeitungen wöchentlich ihre Anweisungen vom Weißen Haus erhalten, was die Zivilbevölkerung in Afghanistan bombardiert, einen auf Haiti demokratisch gewählten Präsidenten kidnappt, Söldner bezahlt, um demokratische Regierungen in Venezuela und auf Kuba zu stürzen und so weiter?
Schließlich ist diese Theorie untrennbar verbunden mit religiösem Denken von apokalyptischer Art. Die amerikanische Revolution ist eine komplexe Bewegung, in der sich verschiedene Ideologien vermischt haben. Aber letztendlich sind sie auf ein religiöses Vorhaben gegründet und dieses ursprüngliche Projekt nimmt die gegenwärtige Regierung für sich in Anspruch. Der Treueeid, der seit dem Kalten Krieg in Kraft ist und zur Zeit vor dem Obersten Gerichtshof angefochten wird, schließt ein, dass man an Gott glauben muss, um Bürger der Vereinigten Staaten zu sein. George W. Bush bekam Zugang zum Weißen Haus, indem er seinen Glauben an Jesus wie ein politisches Programm zur Schau stellte. Er hat sich zu fundamentalistischen Glaubensüberzeugungen bekannt, nach denen die Menschheit erst vor einigen Tausend Jahren ohne Evolution der Arten erschaffen wurde. Er hat im Weißen Haus ein Büro eingerichtet für Initiativen, die auf dem Glauben begründet sind. Generalbundesanwalt John Ashcroft hat sich die Devise zu eigen gemacht „Wir haben keinen anderen König als Jesus“. Der Gesundheitsminister hat die Prophylaxe-Programme nach seinen religiösen Überzeugungen zugeschnitten. Der Verteidigungsminister hat Missionare der Kirche von Pastor Graham zusammen mit den Koalitionsstreitkräften in den Irak geschickt mit der Aufgabe, die Iraker zu bekehren, usw. In Anbetracht all dieser Dinge kann man sich ernsthaft fragen, ob die Vereinigten Staaten ein modernes, offenes und tolerantes Land sind oder sich in ihnen Sektierertum und Archaismus verkörpern.
Der Ursprung des Konzeptes
Der Ausdruck „Kampf der Kulturen“ ist zum ersten Mal in einem Artikel des Orientalisten Bernard Lewis erschienen, der 1990 liebenswürdigerweise mit dem Titel „Die Wurzeln der muslimischen Wut“ versehen wurde [2]. Das Thema ist dies: Der Islam führt zu nichts Gutem und die Muslime schöpfen daraus eine Bitterkeit, die sie in Zorn gegen den Westen umwandeln. Aber der Sieg der Vereinigten Staaten ist gewiss, ebenso wie die „Libanisierung“ des Nahen Ostens und die Erstarkung Israels.
Bernard Lewis, heute [2004] 88 Jahre alt, wurde in Großbritannien geboren. Er absolvierte eine Ausbildung als Jurist und Islamwissenschaftler. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er in den militärischen Nachrichtendiensten und im Arabischen Büro des britischen Außenministeriums. In den sechziger Jahren wurde er anerkannter Experte des Royal Institute of International Affairs, wo er als Spezialist für die britische humanitäre Intervention in das Osmanische Reich auftrat und als einer der letzten Verteidiger des britischen Imperiums. Unter der Schirmherrschaft der CIA nahm er teil am Congress for Cultural Freedom, der ihm ein Werk in Auftrag gab: „Der Nahe Osten und der Westen“ [3]. 1974 wanderte er in die Vereinigten Staaten aus. Er lehrte als Professor in Princeton und wurde eingebürgert. Bald wurde er zum Mitarbeiter von Zbigniew Brzezinski, dem nationalen Sicherheitsberater von Präsident Carter. Zusammen stellten sie die Theorie des „Bogens der Instabilität“ [instability arch] auf und arbeiteten die Destabilisierung der kommunistischen Regierung Afghanistans aus. In Frankreich war Bernard Lewis Mitglied der ausgesprochen atlantistischen Fondation Saint-Simon, für die er 1993 eine kleine Schrift „Islam und Demokratie“ verfasste. In diesem Zusammenhang wurde er von der Tageszeitung Le Monde interviewt. Im Lauf des Interviews schaffte er es, den armenischen Genozid zu leugnen. Das brachte ihm eine gerichtliche Verurteilung ein [4].
Die Vorstellung vom Kampf der Kulturen entwickelte sich unterdessen rasch weiter. Von einer neokolonialen Ausführung über die Vorrangstellung des weißen Mannes wurde sie zu einer weltweiten Konfrontation, deren Ausgang ungewiss ist. Diese neue Bedeutung geht auf Professor Samuel Huntington zurück, der kein Islamwissenschaftler ist, sondern Stratege. Er entwickelte sie in zwei Artikeln, „Der Kampf der Kulturen?“ und „Der Westen ist einzigartig, nicht universal“, und in einem Buch mit dem Titel „Der Kampf der Kulturen und die Neugestaltung der Weltordnung“ [5].
Es geht nicht nur um einen Kampf gegen die Moslems, vielmehr zuerst gegen sie, dann gegen die chinesische Welt. Wie in der Sage von den Horatiern und Kuratiern müssen die Vereinigten Staaten ihre Gegner einen nach dem anderen beseitigen, um auf den Endsieg hoffen zu können.
Samuel Huntington ist einer der großen Intellektuellen unserer Zeit – nicht weil seine Werke unwiderlegbar und brilliant wären, aber sie bilden das ideologische Fundament des zeitgenössischen Faschismus.
In seinem ersten Buch „Der Soldat und der Staat“, das 1957 erschien, versuchte er darzulegen, dass es eine ideologisch vereinte militärische Kaste gibt, während Zivilisten immer politisch gespalten [6]. Er entwickelt die Konzeption einer Gesellschaft, in der der Handel liberalisiert ist und wo die Herren der multinationalen Konzerne unter der Schutz einer Prätorianergarde die politische Macht besitzen.
1968 publizierte er „Politische Ordnung in sich verändernden Gesellschaften“, eine Abhandlung, in der er behauptet, dass nur autoritäre Regimes fähig seien, die Länder der Dritten Welt zu modernisieren [7]. Heimlich beteiligte er sich an der Gründung einer Expertenrunde, die dem Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon einen Bericht übergab zu den Möglichkeiten, die geheimen CIA-Aktionen zu verstärken [8].
1969–70 ließ Henry Kissinger, der seine Vorliebe für Geheimaktionen schätzte, ihn für die Arbeitsgruppe des Präsidenten für internationale Entwicklung nominieren [9]. Huntington empfiehlt ein dialektisches Spiel zwischen dem Außenministerium und den multinationalen Konzernen: Das erstere soll Druck auf die Entwicklungsländer ausüben, damit sie eine liberale Gesetzgebung einführen und auf Nationalisierungen verzichten; gleichzeitig sollen die Konzerne das Außenministerium von ihrer Kenntnis der Länder, in denen sie arbeiten, profitieren lassen [10].
Er schließt sich dem Wilson Center an und begründet die Zeitschrift Foreign Policy. 1974 lässt Kissinger ihn in den Ausschuss für US-Lateinamerika-Beziehungen bestellen. Er nimmt aktiv teil an der Einsetzung der Regimes der Generäle Augusto Pinochet in Chile und Jorge Rafael Videla in Argentinien. Zum ersten Mal erprobt er sein soziales Modell und beweist, dass eine liberalisierte Wirtschaft mit einer Militärdiktatur vereinbar ist. Parallel dazu führt sein Freund Zbigniew Brzezinski ihn in einen privaten Kreis, die Trilaterale Kommission ein. Dort verfasst er den Bericht „Die Krise der Demokratie“ [11], in dem er sich für eine stärker elitär ausgerichtete Gesellschaft ausspricht, wo der Zugang zu den Universitäten und die Pressefreiheit beschränkt sind. Als die Mitglieder der Regierungen Nixon und Ford von Jimmy Carter nach Hause geschickt werden und die Vereinigten Staaten eine Wende ihrer Lateinamerika-Politik vollziehen, wird Huntington durch seinen Freund Brzezinski, der nationaler Sicherheitsberater geworden ist, eine neue Chance gegeben. Dadurch bleibt er im Weißen Haus und wird Koordinator für die Planungen im Nationalen Sicherheitsrat. In dieser Periode beginnt er eng mit Bernard Lewis zusammenzuarbeiten und begreift die Notwendigkeit, erst die Erdölgebiete des „Bogens der Instabilität“ zu beherrschen, ehe das kommunistische China angegriffen werden kann. Das wird noch nicht als Kampf der Kulturen bezeichnet, ist aber etwas Ähnliches.
Aber Professor Samuel Huntington ist gezwungen, sich einem peinlichen Skandal stellen. Berichten zufolge wird er von der CIA dafür bezahlt, dass er Artikel in den Universitätszeitschriften veröffentlicht, die den Rückgriff auf Geheimdienstaktionen rechtfertigen, um die Ordnung in Ländern aufrechtzuerhalten, wo befreundete Diktatoren plötzlich gestorben sind. Als diese Angelegenheit vergessen ist, nominiert Frank Carlucci ihn für den gemeinsamen Ausschuss des Nationalen Sicherheitsrates und des Außenministeriums für integrierte langfristige Strategie [12]. Sein Bericht wird das Programm des „Kriegs der Sterne“ rechtfertigen.
Heute [2004] ist Huntington Geschäftsführer von Freedom House, einer antikommunistischen Vereinigung unter Vorsitz des früheren CIA-Direktors James Woolsey.
Jerusalem und Mekka
Die Theorie des Kampfes der Kulturen nimmt über religiöse Fragen Gestalt an. Die christlich-jüdische Kontrolle über Jerusalem ist ein notwendiger Talisman für den weltweiten Sieg. Wenn der Westen die heilige Stadt verliert, büßt er die Kraft ein, seine offensichtliche Bestimmung zu erfüllen, seine göttliche Aufgabe. Umgekehrt würde, wenn die Moslems die Kontrolle über Mekka verlören, ihre Religion zerfallen. Zweifellos ist all dies nicht sehr rational, aber solche abergläubischen Vorstellungen sind allgegenwärtig in den populären US-amerikanischen Medien. Sie folgen überdies einem durchdachten politischen Diskurs.
Am 10. Juli 2002 riefen Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz die vierteljährliche Versammlung des Beratenden Komitees des Ausschusses für Verteidigungspolitik ein [13]. Nur ein Dutzend der Mitglieder waren anwesend. Man hörte das Referat eines französischen Experten der Rand Corporation, Laurent Murawiec, an: „Die Saudis aus Arabien vertreiben“ [14]. Der Vortrag war in drei Abschnitte und die Vorführung von 24 Dias gegliedert. Im ersten Teil griff Murawiec die Theorien von Bernard Lewis auf: Die arabische Welt macht seit zwei Jahrhunderen eine Krise durch. Sie ist weder in der Lage, ihre industrielle Revolution noch ihre digitale Revolution zu verwirklichen. Dieser Misserfolg weckt Frustration, die sich in Wut gegen den Westen verwandelt – insbesondere weil die Araber sich nicht auseinandersetzen können und in ihrer Kultur Gewalt das einzige politische Mittel ist. Unter diesem Blickwinkel sind die Attentate des 11. September nur der symptomatische Ausdruck ihrer Überforderung. In einem zweiten Teil beschreibt Murawiec die saudische königliche Familie als unfähig, mit den Ereignissen Schritt zu halten. Sie hat den „Wahhabismus“ in der Welt entfaltet, sowohl um gegen den Kommunismus wie auch gegen die iranische Revolution zu kämpfen, aber heute ist das, was sie geschaffen hat, außer Kontrolle geraten.
Schließlich schlug der Referent eine Strategie vor: Die Saudis besitzen gleichzeitig das Öl (das ist der springende Punkt!), den Petrodollar und die Aufsicht über die heiligen Orte. Sie sind die zentrale und einzige Säule, um die sich die arabisch-moslemische Welt organisiert. Wenn die Vereinigten Staaten sie beseitigen, dann können sie das Öl für sich haben, das sie für ihre Wirtschaft brauchen, dazu das Geld aus den Öl, das sie in der Vergangenheit irrtümlicherweise bezahlt haben, und vor allem die heiligen Orte, das heißt die Kontrolle über die moslemische Welt. Und nach dem Zerfall des Islam wird sich Israel Ägypten einverleiben können.
Laurent Murawiec war Berater im Umkreis des französischen Verteidigungsministers Jean-Pierre Chevènement und Lehrbeauftragter an der Schule für Höhere Studien der Sozialwissenschaften (frz. EHESS) [15]. Nach einigen Jahren als Berater von Lyndon LaRouche verließ er diesen plötzlich und schloss sich den Neokonservativen an. Heute [2004] ist er Fachmann am Hudson Institute von Richard Perle und arbeitet zusammen mit dem dem Middle East Forum von Daniel Pipes.
Jene Versammlung erregte viel Aufsehen. Der saudi-arabische Botschafter forderte Erklärungen und Perle, der Organisator dieses Treffens, wurde gebeten, sich für eine Weile taktvoller zu verhalten, und Murawiec wurde aufgefordert, die Rand Corporation zu verlassen. Wie auch immer – diese Versammlung war von Rumsfeld und Wolfowitz mit vollem Bedacht einberufen worden. Es ging darum zu testen, wie weit das Pentagon gehen könnte.
[1] Wir unterscheiden hier zwischen der Republik Frankreich als Idee und Frankreich als Nationalstaat.
[2] “The Roots of Muslim Rage“ von Bernard Lewis, Atlantic Monthly, September 1990.
[3] The Middle East and the West, von Bernard Lewis, Weidenfelds & Nicholson, 1963 (ein Encouter Book).
[4] Siehe « Affaire Forum des Associations arméniennes de France & LICRA contre Bernard Lewis » [Streitsache von France Armenian Associations Forum und LICRA gegen Bernard Lewis], Urteil vom 21. Dezember 1995, 17e Chambre du TGI in Paris.
[5] “The Clash of Civilizations?” und “The West Unique, Not Universal”, Foreign Affairs, 1993 und 1996; The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996.
[6] The Soldier and the State, von Samuel Huntington, Harvard University Press, 1957.
[7] Political Order in Changing Societies, von Samuel Huntington, Yale University Press, 1968
[8] Diese Gruppe bestand aus Francis M. Baton, Richard M. Bissell jr., Roger D. Fisher, Samuel Huntington, Lyman Kirkpatrick, Henry Loomis, Max Milliken, Lucien W. Pye, Edwin O. Reischauer, Adam Yarmolinsky und Franklin Lindsay.
[9] Presidential Task Force on International Development, unter Vorsitz von Rudolph Peterson.
[10] The United States in Changing World Economy, US Government Printing Office, 1971.
[11] The Crisis of Democracy, von Crozier, Huntington und Watanuky, New York Press University, 1975.
[12] Commission on Integrated Long-Term Strategy. Sie bestand aus Charles M. Herzfeld, Fred C. Iklé, Albert J. Wohlstetter, Anne Armstrong, Zbigniew Brzezinski, William P. Clark, W. Graham Claytor, Jr, General Andrew J. Goodpaster, Admiral James L. Holloway. III, Samuel P. Huntington, Henry A. Kissinger, Joshua Lederberg und den Generälen Bernard A. Schriever und John W. Vessey.
[13] Vorsitz von Richard Perle, zum Defense Policy Board Advisory Committee gehören Adelman, Richard V. Allen, Martin Anderson, Gary S. Becker, Barry M. Blechman, Harold Brown, Eliot Cohen, Devon Cross, Ronald Fogleman, Thomas S. Foley, Tillie K. Fowler, Newt Gingrich, Gerald Hillman, Charles A. Horner, Fred C. Ikle, David Jeremiah, Henry Kissinger, William Owens, J. Danforth Quayle, Henry S. Rowen, James R. Schlesinger, Jack Sheehan, Kiron Skinner, Walter B. Slocombe, Hal Sonnenfeldt, Terry Teague, Ruth Wedgwood, Chris Williams, Pete Wilson und R. James Woolsey, Jr.
[14] "Taking Saudi out of Arabia", Powerpoint von Laurent Murawiec (Défense Policy Board, July 10, 2002).
[15] Nach der französischen Befreiung auf Betreiben der CIA geschaffen, sollte die EHESS das Gegenstück zur kommunistisch beeinflussten CNRS bilden. Selbst heute wird diese Schule großzügig finanziert von der Fondation franco-américaine.
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