In Sachen der internationalen Beziehungen scheinen viele Sachen so offensichtlich, dass man nicht auf sie eingehen muss. Es ist jedoch immer besser, sie klar zu stellen. In diesem ersten Teil behandelt der Autor das Gefühl der Überlegenheit, das wir alle haben, und unsere unbewussten Vorurteile über die Bosheit unserer Gesprächspartner. In der kommenden Folge wird er sich mit den Besonderheiten des Nahen Ostens befassen.
In vielen E-Mail-Gesprächen stellte sich heraus, dass viele Dinge, die ich für selbstverständlich halte, für manche meiner Leser nicht selbstverständlich sind. Deshalb möchte ich auf einige Gedanken zurückkommen, von denen Ihnen manche nur als allgemeine Darlegungen erscheinen, andere sie jedoch überraschen werden.
Wir sind alle menschlich, aber verschieden
Es ist möglich, in ein fernes Land zu reisen und nur Hotels und sonnige Strände zu besuchen. Das ist gut für die Bräunung, aber menschlich gesehen, ist es eine verpasste Gelegenheit. Egal welches Land wir besuchen, es ist von Menschen wie unsereins bewohnt, die vielleicht anders aussehen, vielleicht auch nicht, und mit denen wir hätten sprechen können. Wahrscheinlich hätten wir uns mit einigen von ihnen auch anfreunden können.
Im Allgemeinen wird jeder Reisende dafür sorgen, dass er über mehr Mittel verfügt als die Leute des Landes, das er besucht. Das ist ziemlich logisch, weil er mit jedmöglichem Problem auf seiner Reise fertig werden möchte. Aber wird er sich in dieser bequemen Situation dann vielleicht auch ins Unbekannte stürzen und ein paar Leute ansprechen? Und wenn er es dann doch tun wird, werden die Menschen dieses Landes frei mit ihm sprechen und ihr Glück und ihre Ängste einem reichen Reisenden anvertrauen?
Dasselbe gilt für die internationalen Beziehungen: Es ist immer sehr schwierig, wirklich zu wissen was im Ausland vorgeht, und es zu verstehen.
An den internationalen Beziehungen beteiligen sich verschiedene Akteure, die uns fremd sind. Es sind Männer und Frauen, deren Traumata und Ambitionen wir nicht kennen und die wir teilen müssen, bevor wir sie verstehen können. Was für diese Menschen wichtig ist, kann in unseren Augen nicht unbedingt der Fall sein. Es gibt aber sicherlich für sie gute Gründe, die wir herausfinden müssen, wenn wir mit ihnen vorankommen wollen.
Jeder von uns hat die Tendenz seine Werte als qualitativ höherstehend als die der anderen zu betrachten, bis er dann herausgefunden hat, warum „der andere“ anders denkt. Die Griechen sagten von fremden Menschen, dass sie "Barbaren" seien und alle Völker, so gebildet sie auch sein mögen, neigen dazu ähnlich zu denken. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit Unwissenheit.
Das oben gesagte bedeutet aber nicht, dass alle Kulturen und Zivilisationen gleich seien und dass man überall leben möchte und könne. Es gibt Orte, wo Menschen einen düsteren Blick haben und andere, wo er hell ist.
Die Entwicklung der Verkehrsmittel hat es uns möglich gemacht, in wenigen Stunden überall dorthin zu reisen, wohin man will. Wir werden von einem Augenblick auf den anderen in eine andere Welt versetzt und wir denken weiter und handeln so, als wären wir zu Hause. Bestenfalls haben wir ein wenig über diese „Fremden“ gelesen, bevor wir zu ihnen fahren, aber bevor wir ihnen begegnen, können wir noch nicht wissen, ob das was wir gelesen haben, richtig ist oder ob der Autor die Sachen nicht gut durchschaut hat.
Jedenfalls ist es nicht notwendig, in ein Land zu reisen, um seine Einwohner zu verstehen. Auch sie können reisen. Man darf sich aber bei den Gesprächspartnern nicht irren: jene die behaupten, vor ihren Eltern geflohen zu sein, und Schlechtes über sie sagen, sind viel öfter Lügner als Helden. Sie sind nicht unbedingt schlechte Menschen, sie können uns auch etwas sagen, von dem sie denken was wir hören wollen und es kann passieren, dass wenn wir sie besser kennen, sie schließlich ihre ursprüngliche Version ändern. Auf alle Fälle muss man aber sehr misstrauisch gegenüber politischen Emigranten sein: man sollte Ahmed Schalabi in London nicht mit Charles De Gaulle verwechseln. Ersterer war nach einem Betrug aus dem Irak geflohen und hat in allen Sachen gelogen; Letzterer hatte eine echte Unterstützung der Bevölkerung in Frankreich. Der erste öffnete die Tür seines Landes den fremden Armeen, der zweite befreite sein Land von ihnen.
Menschen ändern sich mit dem Alter. Die Völker auch, aber viel langsamer. Was sie auszeichnet, stammt von Jahrhunderten. Deshalb muss man ihre Geschichte lange studieren, um sie zu verstehen, selbst wenn sie ihre Vergangenheit nicht kennen, wie die Muslime, die die Epochen vor der Offenbarung ihrer Religion fälschlicherweise als obskur betrachten. Auf jeden Fall ist es unmöglich, ein Volk zu verstehen, ohne seine Geschichte zu kennen, nicht die des letzten Jahrzehnts, sondern von Jahrtausenden. Man muss von sich selbst sehr eingenommen sein, um zu glauben, einen Krieg zu verstehen, wenn man dorthin geht, ohne die Geschichte und die Motive der Protagonisten lange studiert zu haben.
Das was gestattet, Menschen gut zu kennen, ist auch effektiv, um sie zu beherrschen. Deshalb haben die Briten ihre berühmtesten Spione und Diplomaten im British Museum ausgebildet.
Die "Bösen"
Was wir nicht verstehen, macht uns oft Angst.
Wenn eine Elite oder eine einzelne Person irgendeine Art von Autorität auf andere, Gleichgestellte, ausübt oder selbst eine menschliche Gruppe unterdrückt, kann sie dies nur mit ihrer Zustimmung tun. Das ist das, was wir bei Sekten beobachten. Wenn wir diesen Unterdrückten helfen wollen, dann ist die Lösung nicht, Sanktionen gegen ihre Gruppe zu verhängen oder ihre Anführer zu eliminieren, sondern ihnen frische Luft zu geben, ihnen zu helfen, das Bewusstsein zu erlangen, dass sie anders leben können.
Sektiererische Gruppen stellen nur eine relative Gefahr für den Rest der Welt dar, weil sie sich weigern, mit ihr zu kommunizieren. Sie sind vor allem eine Gefahr für sich selbst, die dazu führen kann, dass sie sich selbst zerstören.
Es gibt keine Diktatur, die dem Willen der Mehrheit aufgezwungen werden kann, es ist einfach unmöglich. Das ist genau der Ursprung des demokratischen Systems: Die Zustimmung der Führer durch eine Mehrheit verhindert jede Form von Diktatur. In meinem ganzen Leben war das einzige Regime, das die Mehrheit seiner Bevölkerung unterdrückte, Michail Gorbatschows Sowjetunion. Aber dieser Führer hatte nichts mit dieser Herrschaft zu tun und löste sie schließlich selbst auf.
Das ist das Prinzip, das die Vereinigten Staaten angewandt haben, um "Farbrevolutionen" zu organisieren: Kein Regime kann überleben, wenn die Menschen sich weigern, ihm zu gehorchen, es bricht sofort zusammen. Es genügt also, die Massen eine kurze Zeit lang zu manipulieren, um einen "Regimewechsel" herbeizuführen. Natürlich ist es unmöglich vorherzusagen, was nachher passieren wird, wenn die Leute aufwachen und sehen werden, dass sie manipuliert wurden. Diese so genannten Revolutionen dauern nur wenige Tage, haben nichts mit wirklichem gesellschaftlichem Wandel zu tun, etwas, das Jahre oder zumindest eine Generation erfordert.
Aber es ist immer sehr einfach, ein fernes Land als eine abscheuliche Diktatur zu bezeichnen, um eine angebliche Notwendigkeit zu rechtfertigen, der "unterdrückten" Bevölkerung zu Hilfe zu kommen.
Obwohl alle Menschen vernünftig sind, können sie auch vom Wahnsinn hinweggefegt werden, wenn sie die Vernunft im Namen einer Ideologie oder Religion beiseitelegen. Es ist etwas, das nichts mit dem spezifischen Projekt der Ideologie oder dem Glauben einer Religion zu tun hat. Die Nazis wollten eine bessere Welt als die Welt des Versailler Vertrages aufbauen, aber sie waren sich ihrer eigenen Verbrechen nicht bewusst. So verschwanden die Nazis und die Welt bewahrte von ihnen nur Dinge wie die Volkswagen-Fahrzeuge und die Eroberung des Weltraums – initiiert von den Vereinigten Staaten dank der Zusammenarbeit des Nazi-Wissenschaftlers Wernher von Braun.
Die Islamisten (und damit meine ich nicht die Gläubigen der muslimischen Religion, sondern die Militanten der politischen Bewegung) glauben, Diener des göttlichen Willens zu sein, sind sich ihrer Verbrechen aber nicht bewusst und werden schließlich verschwinden, ohne etwas zu erreichen. Blindheit ist ein gemeinsames Element bei Nazis und Islamisten und beide Gruppen wurden leicht manipuliert: Die Nazis wurden gegen die Sowjets eingesetzt und die Islamisten wurden von den Briten gegen Unabhängigkeitsbewegungen eingesetzt.
Alle Religionen sind der Gefahr ausgesetzt, manipuliert zu werden, unabhängig von der Art ihrer Botschaft. In Indien rief Yogi Adityanath – verbunden mit dem derzeitigen Premierminister Narendra Modi – die Menge auf, 1992 die Ayodhya-Moschee zu zerstören, und zehn Jahre später massakrierten seine Anhänger die Muslime des indischen Staates Gudscharat und beschuldigten sie, Rache gewollt zu haben. In Myanmar predigt der buddhistische Mönch Ashin Wirathu – der keine Verbindung zur burmesischen Armee hat, geschweige denn zur Führerin Aung San Suu Kyi –, dass Muslime getötet werden sollten.
Die menschliche Gewalt kennt keine Grenzen, wenn wir die Vernunft beiseitelassen. Diejenigen, die diese Gewalt in die Praxis umsetzen, machen sie zu einer Art Kunst, geben sich einen Stil und erfinden spektakuläre Verbrechen. Gruppenquälerei ist kein einsames sadistisches Vergnügen, sondern ein kollektives Ritual, dessen Ziel es ist, Angst zu machen, lähmt alle und zwingt sie, die Unterwerfung zu akzeptieren.
Das Islamische Emirat – auch Islamischer Staat, ISIS oder Daesh genannt – schuf eine ganze Inszenierung und filmte sie, ohne zu zögern, Spezialeffekte zu verwenden, um die Angst zu betonen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Nazis ursprünglich beabsichtigten, Millionen Gefangene zu töten. Vielmehr wollten sie sie als Arbeitskräfte ausbeuten, ohne sich um ihr Leben zu kümmern, und so verübten sie ihre Verbrechen heimlich, wodurch ihre Opfer in „Nacht und Nebel“ verschwanden.
_ Im Gegensatz dazu beschlossen die Bolschewiken während des russischen Bürgerkrieges gegen die weißen Armeen, die dem Zarismus günstig eingestellten sozialen Klassen zu vernichten. Aber dieser Beschluss hatte nichts mit ihrer Ideologie zu tun, sondern mit der Natur des Bürgerkriegs, so dass sie sich auf Erschießungskommandos beschränkten.
(Fortsetzung folgt)
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