Der Zusammenbruch der libanesischen Zentralbank in Folge eines gewaltigen Staatsbetruges hat das Land in eine beispiellose Wirtschafts- und Finanzkrise gestürzt. Das Land zahlt nun für seine 76 Jahre politischer Abhängigkeit und seine acht Jahre völliger politischer Vakanz. Die Realität seiner Situation unterscheidet sich sehr von der Wahrnehmung seiner Bürger.
Libanon: die Unterseite der BankenkrisedesJahrhunderts
von Thierry Meyssan
Voltaire-Netzwerk
Die libanesische Zentralbank hat den Privatbanken erneut erlaubt, libanesische Pfunde frei auszugeben, aber immer noch keine Dollars.
Diese Devisenkontrolle ist rechtlich illegal, weil sie vom Parlament nicht bestätigt wurde. Mehrere große Unternehmen haben bereits Beschwerden vor Gericht eingereicht. Der Import von Weizen, Öl und Medizin steht still, alle anderen Importbereiche befinden sich in Rezession.
Die Staatsverschuldung beträgt 154 % des BIP. Das libanesische Pfund fiel innerhalb von drei Monaten auf die Hälfte seines Wertes, was auch das syrische Pfund mit sich riss, und das schon während des Krieges durch die von Saudi-Arabien und Katar gefälschte Währung entwertet wurde.
Ursachen der Krise
Diese Finanzkrise veranlasste das Parlament, eine neue Steuer zu verabschieden, die Proteste ausgelöst hat, die das Land seit dem 17. Oktober 2019 lahmlegen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sie ihren Ursprung in einem gigantischen Betrug, den die politischen Führer des Landes über die Zentralbank getätigt haben.
Hier ist es erforderlich, sich den historischen Ablauf in Erinnerung zu rufen:
Tatsächlich ist der Libanon seit seiner Gründung während des Zweiten Weltkriegs (1943) nie ein unabhängiger Staat gewesen. Frankreich hat dort ein konfessionelles System eingeführt, das ihm gestattete, seinen Einfluss nach der Entkolonialisierung zu bewahren, indem es den Libanesen jegliches nationale politische Leben vorenthielt. Der Versuch von US-Außenminister Henry Kissinger, die israelische Frage zu lösen, indem er den Libanon zur Heimat der palästinensischen Araber machte, provozierte einen Bürgerkrieg (1975-1989) und endete mit einem Misserfolg. Der durch die Taif-Abkommen (1989) aufgezwungene saudische Frieden stellte das konfessionelle System wieder her und erweiterte die Gemeinschaftsquoten auf alle Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Die von der internationalen Gemeinschaft bestätigte syrische Militärpräsenz (1989-2005) ermöglichte den Wiederaufbau des Landes, löste aber kein einziges Problem.
Der ehemalige Ministerpräsident Rafiq Hariri (1992-98 und 2000-04) plünderte den Libanon, indem er 55.000 Familien bestahl und dann die Staatskasse mit seinem persönlichen Vermögen verwechselte. Auf diese Weise hat er bis zum Ende seines Lebens 16 Milliarden Dollar zusammengerafft. Gemäß der Taif-Abkommen war Rafiq Hariri, als Vertreter der saudischen Königsfamilie, durch die syrischen Friedenstruppen im Land geschützt, um den Bürgerkrieg zu beenden. Als er ermordet wurde, stellte sich heraus, dass er die beiden syrischen Personen, die für die Überwachung der Friedenssicherung verantwortlich waren, bestochen hatte: den Chef der Geheimdienste Ghazi Kanaan und den Vizepräsident Abdel Halim Khaddam. Der erste beging Selbstmord und der zweite floh nach Frankreich, wo er ein Bündnis mit der Muslimbruderschaft einging und den Sturz von Präsident Baschar al-Assad vorbereitete.
Im Jahr 2005 zog sich die syrische Friedenstruppe auf Bitten des libanesischen Volkes abrupt zurück, die sie als Symbol ihrer eigenen Verbrechen während des Bürgerkriegs betrachtete und zu Unrecht für die Ermordung des ehemaligen Premierministers Rafiq Hariri verantwortlich machte. Von 2006 bis 2014, während der Vakanz von Macht und dann während der Präsidentschaft von Michel Slimane, haben die libanesischen politischen Führer – unter dem hauptsächlichen Schutz von Katar und auch dem von Frankreich - keine Buchhaltungsdokumente erstellt. Der Libanon und Saudi-Arabien waren die beiden einzigen Staaten der Welt ohne offiziellen Haushalt. Es ist heute materiell unmöglich zu bestimmen, welche Steuern erhoben wurden, welche internationale Hilfe der Libanon erhielt oder was er ausgab.
Während dieser Zeit richtete der Direktor der Zentralbank, Riad Salamé, ein Ponzi-System ein, das mit dem von Bernard Madoff vergleichbar ist, aber zum persönlichen Nutzen der politischen Führer. Die Dollareinlagen wurden zweimal besser bezahlt als in anderen Ländern. Aber die Zinsen dieser Einlagen wurden mit dem Geld der neuen Einleger bezahlt. Mit Zustimmung der Vereinigten Staaten einigten sich private Banken darauf, schmutziges Geld von südamerikanischen Drogenkartellen zu waschen, während eine US-Bank ein Drittel des Kapitals der wichtigsten libanesischen Banken kaufte. Als ein großer Einleger sein Geld abzog, geriet das System ins Wanken. Die politischen Führer hatten gerade Zeit, ihr Geld ins Ausland zu überweisen, bevor das System zusammenbrach. Im vergangenen Oktober brach der ehemalige Premierminister Fouad Siniora so alle Rekorde, als er unrechtmäßig erworbene 6 bis 8 Milliarden Dollar hinterzog. Angesichts der Katastrophe hat der Interimspremierminister, Saad Hariri (der rechtmäßige Sohn des vorherigen), die Vorauszahlung von einer Milliarde Dollar durch die Europäische Union gefordert. Dann schrieb er an Saudi-Arabien, China, Ägypten, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien, Russland und der Türkei und bat sie, für unbezahltes Geld zu bürgen, um die Grundbedürfnisse deckende Güter zu importieren; dieses Geld muss zurückgezahlt werden, sobald die Devisenkontrollen aufgehoben sind. Als Antwort trafen sich die wichtigsten Staaten, die an der wirtschaftlichen Rettung des Libanon beteiligt waren, am 11. Dezember in Paris. Am Morgen diskutierten sie hinter verschlossenen Türen über ihr politisches Interesse, den Libanon zu retten oder ihn fallen zu lassen, und am Nachmittag empfingen sie eine libanesische Delegation. Sie haben es zur Bedingung jeder Hilfe gemacht, eine neue prowestliche Regierung zu ernennen und eine wirksame Kontrolle über die Verwendung von Geld zu schaffen.
Empört über die Idee einer neuen ausländischen Vormundschaft über das Land, wurden libanesische Anfragen an ausländische Geber geschickt, um sie davon abzuhalten, Geld an die Zentralbank zu überweisen, solange der Ursprung der Krise nicht geklärt ist.
Der sunnitische Regierungspräsident Saad Hariri wandte sich daraufhin an den IWF und an die Weltbank, aber diese stellten sofort die Echtheit der Bilanz der Zentralbank und die Rechtschaffenheit ihres Direktors, Riad Salamé, der bisher als ein vorbildlicher Banker galt, in Frage.
Dieser geschichtliche Ablauf zeigt die Nicht-Verantwortung der Hisbollah für die Krise, obwohl die westliche Presse das Gegenteil behauptet. Ebenso ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Hisbollah zwar Zakaah (muslimische Spende) von Drogenhändlern im Bekaa-Tal und der schiitischen Diaspora in Lateinamerika erhält, sich aber stets gegen den Drogenanbau ausgesprochen hat. Als sie an die Macht kam, schlug sie Sozialhilfeprogramme vor, damit die Bauern sich entwickeln und ihre Anbaupflanzen wechseln können. Schließlich sollte auch betont werden, dass der größte Teil des schmutzigen Geldes des Libanon nicht von lokalen Drogen stammt, sondern von der Geldwäsche der Erträge südamerikanischer Kartelle; eine von den U.S. Bankern eingerichtete Geldwäsche, die hauptsächlich christlichen und sunnitischen Banken zugutekommt.
In ähnlicher Weise unterstreicht diese Darstellung die scheinbare Stabilität des Landes seit der Wahl des christlichen Präsidenten der Republik, Michel Aoun. Der Libanon war nie in der Lage gewesen, alle Posten des christlichen Präsidenten der Republik, des sunnitischen Regierungspräsidenten, der Abgeordneten-Versammlung und des Verfassungsrates von 2005 bis 2016 gleichzeitig zu besetzen.
Auswirkungen der Krise
Die Maßnahmen zur Devisenkontrolle, die darauf abzielen, die Kapitalflucht zu stoppen, haben den Zusammenbruch der Wirtschaft verursacht. Mindestens 10 % der Unternehmen des Landes sind in den letzten drei Monaten in Konkurs gegangen. Die meisten anderen haben ihre Arbeitszeit reduziert, um die Löhne proportional zu senken, ohne ihre Mitarbeiter entlassen zu müssen. Die ersten betroffenen Unternehmen sind gemeinnützige Stiftungen, so dass der gesamte Sektor der Hilfe für Bedürftige stark geschädigt ist. Die ausländischen Arbeiter – speziell die asiatischen Hausangestellten –, die in libanesischen Pfund bezahlt werden, haben die Hälfte dessen verloren, was sie monatlich in Dollar an ihre Familien überwiesen. Tausende haben das Land bereits verlassen.
Jeder wird bemerkt haben, dass die Demonstrationen, die seit dem 17. Oktober stattfinden, sehr gut koordiniert sind. Die Anführer sind per Telefon permanent mit einem mysteriösen Hauptquartier verbunden. Die Parolen sind im ganzen Land und in allen Gemeinschaften genau die gleichen, was den Demonstranten ein illusorisches Gefühl für das Ende des konfessionellen Systems verleiht. Dass der christliche Präsident der Republik, Michel Aoun, das Hauptziel der Freien Patriotischen Bewegung (CPL) ist, legt nahe, dass die Bewegung gegen ihn organisiert ist.
Die Haltung der Vereinigten Staaten ist mehrdeutig. Auf der einen Seite blockierte die USAID-Verwaltung die Zahlung eines Zuschusses in Höhe von 115 Millionen Dollar an die libanesische Armee, damit sie Ausrüstung kaufen kann, während auf der anderen Seite Außenminister Mike Pompeo den Zuschuss freigab. Der ehemalige US-Botschafter im Libanon, Jeffrey Feltman, sagte vor dem Kongress aus und bestätigte, was er geschrieben hatte. Nämlich, dass laut ihm jeder "Amerikaner" das Iran-Hisbollah-CPL-Weißes-Haus-Bündnis bekämpfen müsse.
Der Vorschlag, den Geschäftsmann Samir Khatib zum sunnitischen Regierungspräsidenten zu ernennen, wurde vom Großmufti abgelehnt. Tatsächlich wird der christliche Präsident der Republik im Libanon durch den maronitischen Patriarchen, der schiitische Parlamentspräsidenten durch den Mufti, und der sunnitische Regierungspräsident durch die Mullahs ernannt und dann von der einzigen Kammer bestätigt. Es ist das einzige Land der Welt mit einer solchen Konfusion von religiösen und politischen Instanzen. Die Kata‘ib (maronitische Phalangisten) haben ihrerseits den Diplomaten und Richter Nawaf Salam vorgeschlagen, um sich gut darzustellen. Auf jeden Fall ist der Mufti für eine Wiederernennung von Saad Hariri, aber dieses Mal an der Spitze einer Regierung von Technokraten, die auf jeden Fall von den drei Präsidenten gewählt werden.
Die für Amtspflichtverletzung angeklagte Freie Patriotische Bewegung (CPL) des christlichen Präsidenten der Republik, Michel Aoun, hat bereits wissen lassen, dass sie nicht an der nächsten Regierung teilnehmen würde. Sie will nicht für künftige Probleme, unter dem Vorwand der Vertuschung der ihr vorgeworfenen Veruntreuung, die sie bestreitet, verantwortlich gemacht werden.
Die Zusammenstöße, die am 14. Dezember in Beirut stattfanden, zeigen die inhaltliche Leere der Unruhen. Am frühen Nachmittag griffen junge Schiiten, Mitglieder der Hisbollah und von Amal, mit George Soros verbundene Gruppen an, die Zelte im Stadtzentrum aufgestellt hatten. Während am Abend andere junge Leute von jenen Gruppen, die kurz zuvor angegriffen worden waren, versuchten, in das Parlament einzudringen und die "bunte Revolution" zu proklamieren, wie sie es in Serbien, Georgien und vielen anderen Ländern machten. Für die Libanesen, die sich an ihren Bürgerkrieg erinnern, verursachten die etwa hundert Verwundeten, einschließlich jener der Polizei, eine unerträgliche Angst. Die Tatsache, dass die Presse von verwundeten Libanesen spricht, aber nichts über die staatenlosen palästinensischen oder nationalen syrischen Toten sagt, spricht Bände über die Gewalt des Landes.
Man wendet sich also wieder einem wackeligen System zu, weil seit 76 Jahren die Großmächte mit dem Libanon spielen und die Libanesen sich unterwerfen.
Wie soll man aus der Krise herauskommen?
Trotz der Forderungen der Demonstranten gibt es keinen reinen libanesischen Politiker. Und in einem solchen System kann es auch keinen geben. Im besten Fall haben sie Geld gestohlen, um ihrer Gemeinschaft zu dienen, im schlimmsten Fall, um sich selbst zu bereichern. Der Libanon ist eines der wenigen Länder der Welt, in dem Milliardäre plötzlich auftauchen, ohne dass irgendjemand weiß, woher ihr Vermögen kommt. Deshalb darf man sie nicht alle vertreiben, sondern muss sich auf die Erstgenannten stützen, indem man sie ermutigt, der Nation und nicht nur ihrer eigenen Gemeinschaft zu dienen, und Letztere einsperren.
Die Probleme des Libanon sind direkt den Libanesen selbst zuzuschreiben, die 76 Jahre lang ein abstruses Verfassungssystem akzeptiert und für ihre Gemeinschaft und nicht für ihr Land gekämpft haben. Sie haben das Trauma des Bürgerkriegs immer noch nicht gelöst und sehen ihre sektiererischen Warlords weiterhin als die einzigen Bollwerke gegen die mögliche Aggression anderer Gemeinschaften.
Diese Missgeschicke werden nur mit einer Verfassungsänderung und der Annahme eines wirklich demokratischen Systems enden; das bedeutet die Anerkennung der legitimsten Persönlichkeit, um die Geschicke des Landes zu lenken. Ihre Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle. Und in diesem Fall ist es offensichtlich Hassan Nasrallah, nach dem Sieg seines Widerstandsnetzwerks gegen den israelischen Eindringling, der zweifellos diese Persönlichkeit ist. Es bleibt den Libanesen überlassen zu hoffen, dass er ihr Vertrauen nicht ausnutzt, um sie zum Wohle der Iraner zu verraten.
Im Moment ist es unmöglich, die Verfassung zu ändern. Die Parlamentarier hängen zu sehr an ihren Sitzen und werden es nicht tun, weil sie sonst massiv aus dem Parlament fliegen würden. Ein Referendum wird dies auch nicht bewirken, weil Korruption überall herrscht, auch unter den Wählern: 45 % von ihnen geben zu, dass sie aufgefordert wurden, ihre Stimme zu verkaufen. Im Libanon sind die politischen Parteien konfessionell. Sie haben keine nationalen Ambitionen, sondern verteidigen ihre Gemeinschaft und verteilen die Pfründe an sie. Es ist daher notwendig, durch die Schaffung einer starken Verwaltung schrittweise vorzugehen, also indem die wichtigsten korrupten Agenten in kurzer Zeit vollkommen entmachtet werden; was der sunnitische Regierungspräsident Saad Hariri vorgeschlagen hatte, und was ihm aber von den Demonstranten verweigert wurde. Dann muss man sich den aus dem Bürgerkrieg hervorgegangenen Kriegsherren zuwenden, die ihre derzeitige Nützlichkeit unter Beweis stellen oder das öffentliche Leben verlassen müssen.
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