Im Karabach-Krieg ist das zeitgenössische Recht widersprüchlich, je nachdem, ob es nach dem Eigentum des Territoriums oder der Selbstbestimmung des Volkes interpretiert wird. Unter Ausnutzung dieser Zweideutigkeit hat das türkische Volk (d. h. sowohl die Türkei als auch Aserbaidschan) gerade dieses Gebiet angegriffen, das sich selbst als unabhängig erklärt (Artsach), obwohl es de facto mit Armenien verbunden ist. Russland hat bereits mitgeteilt, dass es Armenien, wenn es angegriffen wird, den Verträgen entsprechend verteidigen wird, seine nationale Sicherheit aber nicht von den Geschehnissen in Karabach betroffen sei. Die einzige Frage ist daher, ob die Türkei auf Befehl des Westens gehandelt hat oder ob sie eine Initiative ergriffen hat, die ihre eigenen Verbündeten gegen sie umdrehen könnten.
Dieser Artikel folgt auf:
– „Wird Artsach (Karabach) das Grab von Erdoğan werden?“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 6. Oktober 2020.
Der Krieg in Nagorno-Karabach dauert seit dem 27. September 2020 an. Die Überlegenheit der aserbaidschanischen Kräfte ist sowohl an der Zahl als auch an der Qualität ihrer Bewaffnung offensichtlich. Die erste Verteidigungslinie der Artsach-Kräfte wurde total aufgerieben, aber die beiden anderen halten noch. Die Zerstörungen sind sehr groß, auch auf der aserbaidschanischen Seite. Es ist schwierig, eine menschliche Bilanz zu erstellen, aber es gibt bereits sehr viele Tote.
Präsident Ilham Aliyev kündigt seine Absicht an, seine Offensive bis zum Sieg fortzusetzen, d. h. bis zur "Wiederherstellung" seines Territoriums. Er wird von seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan unterstützt. Pakistan hat sich ebenfalls in sein Lager gestellt, leugnet aber, Soldaten dorthin geschickt zu haben. Alle türkischsprachigen Länder des türkischen Rates haben das "Zwei-Staaten-Volk" (Aserbaidschan und die Türkei) uneingeschränkt unterstützt.
Auf der armenischen Seite hat die unerschütterliche Unterstützung der im Westen verstreuten Diaspora ebenfalls einen Konsens geschaffen, der den aserbaidschanischen Angriff verurteilt (obwohl Baku behauptet, Karabach nicht angegriffen zu haben). Zum Problem von Artsach kommt das Armenien-Problem. Es ist klar und wird behauptet, dass Soldaten dieses Landes in Artsach kämpfen, aber es scheint nicht, dass sich die Kämpfe auf das Territorium Armeniens ausgebreitet hätten.
Aus diplomatischer Sicht ruft die Minsk-Gruppe der OSZE unter dem Vorsitz der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Russlands immer häufiger zu einem Waffenstillstand auf, ohne jede Wirkung. Sie hat seit ihrer Gründung nichts getan und macht weiterhin öffentlich die Augen zu. In Wirklichkeit ist sie im Verborgenen aktiv und hat gerade eine Vermittlung in Genf ohne Armenien organisiert.
Ein Wort zur französischen Position: Obwohl Ko-Vorsitzender der Minsker Gruppe, stellt sich Paris immer wieder gegen Ankara in allen möglichen Fragen: von der Abgrenzungsfrage der ausschließlichen Gebiete im Mittelmeer, bis zur Situation in Libyen und bis hin zum Säkularismus. Präsident Emmanuel Macron vermeidet es jedoch so weit wie möglich, die türkische Besetzung Zyperns, des Irak und Syriens anzusprechen, die jedoch viel wichtigere Probleme sind. Frankreich bat die Türkei um Erklärungen über die Überstellung von Dschihadisten der Freien Syrischen Armee, die es ja einst selbst gegen Syrien geschaffen, unterstützt und kommandiert hatte.
Die mittleren Mächte vermeiden eine Stellungnahme, da fast alle zögern, sich mit einem mächtigen Ölstaat wegen der schönen Augen der Armenier zu zerstreiten. Angesichts der Völkermord-Vergangenheit des türkischen Volkes, die es nach wie vor leugnet, wird es jedoch moralisch unmöglich sein, sich noch lange nicht zu äußern. Bevor sich Katar (das eine türkische Militärbasis beherbergt) geäußert hatte, verurteilte der Generalsekretär der Arabischen Liga die Türkei. Syrien hat ihm sofort verfolgt. Präsident Baschar al-Assad hat die Gelegenheit genutzt, um die Verbrechen Ankaras gegenüber seinem Volk zu rekapitulieren.
Abschließend möchte ich sagen, dass, während die wahrscheinliche Niederlage von Artsach und das wahrscheinliche Massaker seiner Bewohnern näher kommen, die USA und Russland immer noch auf Neutralität bestehen, der Westen und die Araber Armenien unterstützen, während nur die türkischsprechenden Staaten Aserbaidschan und die Türkei offen unterstützen.
Die Hypothese der Falle
Die hypothetische, von Washington geplante Falle, um Präsident Recep Tayyip Erdoğan in die Enge zu treiben und ihn zu Fall zu bringen, wie einst seinen irakischen Amtskollegen Saddam Hussein, bleibt bestehen. In den Jahren 1990-91 folgte auf die von US-Botschafterin April Gaspie angeregte irakische Invasion von Kuwait fünf Monate später eine einstimmige Verurteilung durch den Sicherheitsrat und die Operation "Wüstensturm". Es sind erst zwei Wochen seit dem Beginn der Operation in Artsach vergangen.
Es war schwierig, das Bild von Präsident Saddam Hussein innerhalb weniger Monate zu verändern. Er war ein CIA-Agent, der in seiner Jugend, während seines Studiums rekrutiert wurde. Er hatte bei einem Putschversuch der Muslimbruderschaft in Syrien auf Wunsch des Westens mitgeholfen. Er hatte einen langen Krieg gegen den Iran geführt, auch auf Wunsch des Westens. Damals dachte er, er sei unentbehrlich für seine Sponsoren. Also veröffentlichte Washington Dokumente, aus denen hervorging, dass er mehrere Menschen aus seiner Umgebung ermordet habe oder habe ermorden lassen, aber dieser orientalische Despot müsse noch in einen neuen Massenverbrecher verwandelt werden. Dafür kam die Falschaussage einer falschen kuwaitischen Krankenschwester vor dem Kongress der Vereinigten Staaten, die entscheidend war: Auf Befehl des Tyrannen habe die irakische Armee Brutkästen gestohlen, was den Tod von frühgeborenen Babys verursachte.
Im Fall von Aserbaidschan wird es einfacher sein. Es genügt, die Beweise für den Völkermord an den Armeniern zu exhumieren, den die Türken nach wie vor leugnen, um die ernsthafte Gefahr eines erneuten Massakers zu rechtfertigen. Vor allem, da die Kathedrale von Artsach schon von zwei Präzisionsraketen getroffen wurde. Bereits jetzt bestreitet Aserbaidschan, diese Raketen abgefeuert zu haben, was möglich ist, aber davon ausgeht, dass eine dritte Macht die Fäden des Konflikts zieht. Sollte sich die Beteiligung Bakus an dieser Verletzung des humanitären Völkerrechts als erwiesen erweisen, wäre die Genozid-Absicht nicht zu übersehen, da der Völkermord an den Armeniern (1894-95 und 1915-20) wegen ihrer Religion stattfand.
Die Falle schließt sich
Um zu verhindern, dass die Dinge eskalieren, organisierte der russische Präsident Wladimir Putin am 9. Oktober in Moskau Verhandlungen zwischen den Außenministern Aserbaidschans und Armeniens, nachdem er seinen Ministerpräsidenten nach Eriwan entsandt hatte. Nach sechsstündiger Beratung wurde ein Waffenstillstand für den 10. Oktober zu Mittag unterzeichnet. Das Abkommen sah neben der Überstellung der Gefangenen und der Leichen der Opfer die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe der OSZE vor.
Der Beendigung der Kämpfe ging ein heftiger Beschuss auf die kleine Stadt Hadrut voraus, deren "Einnahme" Baku etwas zu schnell erklärt hatte, und ein gewaltiger Drohnenangriff, der darauf abzielte, das Kräfteverhältnis in extremis zu verschlechtern.
Der Waffenstillstand dauerte nur fünf Minuten: Um 12.05 Uhr nahm Aserbaidschan die Kämpfe in Hadrut wieder auf.
Nach Angaben der armenischen Seite soll Aserbaidschan dann die Republik Armenien in der Grenzstadt Kaplan bombardiert haben. Sollte diese Information bewiesen sein, müsste die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OTSC) Armenien militärisch unterstützen. Dann müsste Russland das türkische Engagement - an dem niemand zweifelt - beweisen, um die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) vor ein Dilemma zu stellen: entweder die Türkei zu unterstützen und den Dritten Weltkrieg auszurufen, oder sie zum Austritt aus dem Bündnis aufzufordern.
Da fast alle NATO-Mitglieder Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr ertragen können, sollte er zum weltweiten Feind Nummer eins werden.
Allerdings sind die Dinge vielleicht noch komplizierter: Die internationale Kommunikation der aserbaidschanischen Seite wird von einer Lobby, dem Nizami Ganjavi International Center, gewährleistet, das eindeutig von der NATO kontrolliert wird. Darüber hinaus hat Washington bereits mehrmals versucht, Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen oder gar zu ermorden, während es wiederholt sagte, dass die türkische Armee ein wertvoller Bestandteil des Bündnisses sei.
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