Während wir die Veröffentlichung in Episoden der geheimen Armeen der NATO weiterführen, hinterfragt Vernon Sullivan das Ausmaß des Gladio-Phänomens. Für ihn haben die Geheimdienste der Atlantischen Allianz nicht nur die Vorbereitung einer sowjetischen Invasion oder den Kommunisten-Zugriff auf europäische Regierungen verhindern wollen. Darüber hinaus, wenn der Gladio auch heute nicht mehr wie zur Zeit des Kalten Krieges existiert, gibt es keinen Beweis, dass er völlig verschwunden ist.
Die Paranoia wäre das Vorrecht des diktatorischen Regimes, das wir ironisch ’stark’ heißen, weil seine Härte genau Funktion seiner inhärenten Schwäche, mangelnde Selbstsicherheit ist, die sie zwingt, mit Entschlossenheit zu handeln, um an der Macht zu bleiben. Man verdächtigt andererseits zivilisierte Gesellschaften der Weichheit und Nachlässigkeit, so versichert seien sie über die Stärke ihrer Fundamente. Ist es nicht immer so gewesen. Als Beweis, die anspruchsvollen Formen von polizeilicher Überwachung zur Zeit des Kalten Krieges.
"Gladio", lateinisches Wort für das Schwert, ist der vergessene Name einer geheimen Organisation, die in fast allen Ländern der NATO aufgebaut wurde. Dieses unsichtbare Netzwerk war Vorläufer einer geheimen Armee von Saboteuren und Unterstützern, die einen Gegner destabilisieren sollten, von dem man überzeugt war, dass er die erste Runde eines jeden Krieges gewinnen würde. Die Schuld des Krieges könnte nur die der Sowjets sein, er wäre eine Invasion und die russische Herrschaft könnte nur durch den Ärmelkanal, den Atlantik und vielleicht die Pyrenäen gestoppt werden. Griechenland und die Türkei würden zu drei Viertel verloren gehen, Frankreich, Italien, Deutschland, die Benelux und Skandinavien wären in vollem Umfang verloren. Der Krieg würde in der Schweiz, Spanien und Türkei weitergehen; der russische Vormarsch würde durch die anglo-sächsische Beherrschung des Himmels gestoppt werden... Aber die Zurückeroberung wäre nicht möglich. Katastrophale Zerstörungen. Irland würde mehrere Exilregierungen beherbergen, die der Schweiz, von Belgien und besonders von Italien.
Dieses alte Szenario wäre nur mit dem Fall der Berliner Mauer aufgegeben worden. Mit diesem Verzicht hat sich die alte Struktur gelockert, ohne aber komplett aufzuhören zu existieren. Ihre wichtigsten Befürworter haben nämlich noch viel Arbeit, den Abbau reibungslos weiterzubringen und um zu vermeiden, dass die Struktur nicht allzu sichtbar wird und dass nicht alle Namen der Mitglieder der wesentlichen Akteure offengelegt werden. Denn es ist klar, dass die Führer der Geheimdienste der großen Demokratien aufgrund ihrer offiziellen Aufgaben, sowie die meisten der Generalstäbe der Armeen automatisch in Führungsrollen investiert wurden, ebenso wichtige Funktionen konnten auch von Abteilungschefs der Polizei, von Parlamentariern besetzt worden sein und manchmal auch von nicht gewählten Beamten, einfachen Reserve-Offizieren, die einen harmlosen aber strategischen Beruf ausübten – im Transport zum Beispiel.
Die teilweise Demontage des Systems wurde Ende der 1970er Jahre gewünscht, als verschiedene Skandale, die die italienischen Sonderdienste und Freimaurerlogen einbezogen, durch Operationen der Kriminalpolizei im Rahmen des Kampfes gegen die Terrorismen ins helle Tageslicht gerückt wurden. Ich sage wirklich "die" Terrorismen, weil die Angriffe der marxistischen Linken und der Anarchisten kaum mehr als die Hälfte der Anschläge und hinsichtlich der Zahl der Opfer ausmachten; sie sind letzten Endes viel weniger bedeutend als diejenigen, die der Extremrechten zugeschrieben werden können. Damals gab es zwei Arten von Terrorismen, mit gegenseitigen Zielen und deren Akteure nicht über vergleichbare Mittel verfügten. Die extrem Linken töteten oder entführten Personen, die Anarchisten sprengten öffentliche Gebäude, die Faschisten aber zielten auf die zivile Menge ab. In Italien wurden diese Unterschiede durch alle gerichtlichen Untersuchungen hervorgehoben, die in den 1980er Jahren vorgingen. Die gleichen Richter bestätigten häufig widerwillig die Theorien, die zur Zeit der Taten von Filmemachern und Schriftstellern dargestellt wurden: die angeblichen Faschisten handelten in perfekter Intelligenz mit den Mitgliedern des "Gladio"-Netzes, das ihnen die notwendige Versorgung mit Sprengstoff hoher Intensität bot.
Im Laufe der sensationellen Prozesse schlossen einige Richter auf die Unmöglichkeit der Rückverfolgung der Linien. Es war tatsächlich ein Staatsprojekt: „um Spannungen im Land zu schaffen, zur Förderung der sozialen und politischen konservativen und reaktionären Trends. Obwohl diese Strategie implementiert wurde, ist es notwendig, diejenigen zu schützen, die dahinter stecken, weil sie beschuldigende Beweise entdeckt wurden. Zeugen haben Informationen maskiert, um Rechtsextremisten zu decken“. [1]. Ebenso ist es wahrscheinlich, dass die Aktivitäten der Roten Brigaden von Mitgliedern der speziellen Dienste im Rahmen einer globalen Projekt-Politik und Konsolidierung des Regimes teilweise verdeckt wurden. Der Mord an Aldo Moro wäre aus dieser Sicht sinnvoll. Aus dieser Sicht war das italienische Theater in keiner Weise mit Deutschland vergleichbar, da in diesem Land die berühmte Rote-Armee-Fraktion eine isolierte Gruppe und auch wirklich verfolgt war, die sich nur auf den palästinensischen Fatah verlassen konnte und nur sehr sparsam von der DDR-Stasi versorgt wurde. Zu dieser Zeit hat in Deutschland kein militanter Neofaschist daran gedacht die Waffen zu ergreifen, wie in Frankreich, wo nur die Direkte-Aktion-Aktivisten damals Terroristen im eigentlichen Sinne waren.
Italien ist daher ein besonderer Fall, ohne Zweifel sollten wir da die Bestätigung sehen, dass die Macht der atlantischen Parteien dort die schwächste war. Einer der ehemaligen Leiter der italienischen Spionageabwehr, General Giandello Maletti, machte im März 2001 das Geständnis und sagte, dass es die CIA war, die den Terrorismus in Italien hergestellt hatte, und der namentlich Richard Nixon der Entscheidung beschuldigte, am Ursprung des Anschlags zu sein, der 1969 sechzehn Tote und achtzig Verwundete in Piazza Fontana verursachte.
Griechenland und Türkei erlebten ähnliche Situationen, weniger bekannt, weil die demokratische Transparenz kleiner ist. In der Türkei ging es im Wesentlichen darum, die Fähigkeit der verschiedenen Kommunistengruppen, bewaffnet oder nicht, zu zerstören und auch den uneinnehmbaren Untergrund der Kurden- und Alewiten-Aktivisten in einigen Bergen vom östlichem Anatolien. Deshalb konnten die Hauptführer des türkischen Gladio die militärischen Funktionen verlassen und die des Verwaltungsrates der Gefängnisse und der Konzentrationslager übernehmen, um schließlich in zivilen Regierungskabinetten ernannt zu werden und alle Abweichungen zu überwachen und die Lust aus der NATO auszutreten, zu verhindern. Ggf. wurden Guerilla Experimente ausgeführt, wie der berühmte antikommunistische und Anti-Gewerkschaftsanschlag vom 1. Mai 1977 Platz Taksim - 38 Tote und Hunderte Verletzte. Die Schießerei dauerte 20 Minuten, ohne dass die Polizei eingreift, um Scharfschützen zu vertreiben. Alle nachträglichen Untersuchungen von Journalisten sind gescheitert, dieses Phänomen zu erklären und die jüngsten Aussagen von Generälen wurden unter Verschluss gehalten. Dadurch dass der Schlag von Juni 2007 durch das R.T. Erdogan-Regime gegen das "Ergenekon"-Netzwerk die amerikanischen Kontroll-Strukturen beschädigt hatte, könnte man sich vorstellen, dass ein guter Teil der Verbindungen gelöscht wurde.
In Italien spielten die Relais der Freimaurerlogen P2 und P27 und P26 die Rolle der Kontrolle für den Zugriff auf die höchsten Ämter. Wir wissen heute, dass Francesco Cossiga, lange Zeit Assistent des Verteidigungsministers, Minister zu verschiedenen Anlässen und schließlich Präsident der Republik, einer der Anführer der Gladio-Organisation war. Es gibt Hinweise, dass Giulio Andreotti dafür war, dass die Gladio-Aktivität nach 1990 fortgesetzt wird. In Griechenland hat es den Anschein, als ob die Colonels die Spuren ihrer Zusammenarbeit nach Verlassen der Macht weitgehend gelöscht hätten. Aber in den Vereinigten Staaten freigegebene Dokumente liefern Beweise für den Beginn einer ersten geheimen Armee bereits in 1944, unter britischem Kommando und die um 1950 dann der Leitung der CIA übergeben wurde. Diese „parallele“ griechische Armee hatte als Hauptaufgabe die Wartung von erheblichen Waffenverstecken in den Gebirgsbereichen, um im Fall einer Invasion problemlos Widerstandsgruppen zu erstellen. Anfragen zur Untersuchung der Ursprünge des Staatsstreiches von 1967 und der Aktivität der geheimen Armee wurden immer zurückgewiesen.
Francos Spanien hat für Gladio auf den Kanarischen Inseln einen Trainings-Bereich für Terrorismusbekämpfung eröffnet, der bis 1975 operationell war. Aber Spanien war durch den antifaschistischen deutschen, niederländischen und britischen Widerstand außerhalb der Organisation gehalten worden. Es konnte daher nicht die Erfahrung der geheimen Armee in seinem Kampf gegen die ETA verwenden. Zumindest bis 1981, wahrscheinliches Datum der Schaffung eines spanischen Zweiges des Gladio. In Portugal endeten die Aktivitäten der Organisation mit der Nelkenrevolution Mai 1974; die ausländischen Agenten sind vertrieben worden und die der politischen Polizei PIDE unverblümt entlassen worden. Besorgt um keine Kontroverse mit französischen, italienischen, amerikanischen und britischen Regierungen zu schaffen, haben die jungen revolutionären Offiziere die Beweise liquidiert und die Spuren verwischt.
Das Vereinigte Königreich war sicherlich das Befehlszentrum der Organisation, insoweit die USA für diese Art von Aufgaben immer mehr Vertrauen zu den Engländern hatten, als zu irgendjemand anderen, trotz der Schlappen, die auf russische Infiltration zurückzuführen waren (Cambridge-affäre, Philby usw.). Insofern der MI6 der Dirigent des "Gladio" war, hätte die Organisation im Dienst ihrer Interessen in Nordirland leicht eingesetzt werden können. Es wird gesagt, dass Margaret Thatcher es erhofft habe und dass George Kennedy Young, einer der Spitzenleute des MI6 beauftragt wurde, das Projekt einzuleiten und eine ständige bewaffnete Zelle am Ende der 1970er Jahre aufzustellen. Es ist schwierig, die Linie zurück zu verfolgen, weil einige potenzielle anti-Terroristen identifiziert und von der IRA liquidiert wurden, andere aber lieber aufgaben, um ihren Ruhestand zu genießen und in ihrem Bett zu sterben.
In Frankreich bauten die anglo-amerikanischen Truppen eine erste geheime Armee (secret Stay-Behind-Armee) nach der Libération [Befreiung] auf, im Rücken der provisorischen Regierung. Ihre Belegschaft besteht aus den UK-Sonderdiensten direkt angeschlossenen Widerstandsnetzwerken, die einen Zustrom von monarchistischen Aktivisten und ehemaligen Beamten von Vichy bekamen, die Doppelspiel getrieben hatten, d.h. jene die dachten, de Gaulle vermeiden zu können und Pétain oder Giraud zu behalten, indem sie Deutschland zugunsten des Vereinigten Königreichs verrieten. Ihre Zahl wurde noch nie veröffentlicht, aber der Prozess gegen den ehemaligen „Maréchal“ zeigt, dass sie Mitglieder der Beschlussorgane von Vichy waren. Der Schriftsteller Jules Roy deutet darauf hin, dass sie in Nordafrika zahlreich waren, die „pieds-noirs“ [herabsetzende Bezeichnung der französischen Kolonialbevölkerung in Algerien] aber auch Araber, in Bruch mit Frankreich (Jean Amrouche z.B.) Die vertikale Linie des Befehls dieser Männer des Schattens führt direkt zu Winston Churchill über das SOE (britische Special Operation Executive). Im Juni 1947 offenbarte der sozialdemokratische Innenminister Edouard Depreux die Existenz eines "blauen Plans", der zu einem Staatsstreich im folgenden August führen sollte. Die Amerikaner beschlossen daher ihre französische Sektion der secret Stay-Behind-Armee aufzulösen. Aber in den Folgejahren wird eine zweite Organisation durch einen ehrgeizigen Leiter des Äußeren Dokumentations-dienstes und der Spionageabwehr, Henri Alexis Ribière implementiert. Das Projekt ist explizit eine Vorbereitung für den Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer. Mit dem Krieg in Algerien und der Entstehung der OAS [fr. geheime Armee Organisation gegen die drohende algerische Unabhängigkeit] verliert der SDECE [fr. Abwehr] Mitarbeiter und ist verpflichtet, seine Armee des Schattens zu reinigen. Im Jahr 1990 wird Admiral Pierre Lacoste bestätigen, dass das Projekt nie wiederbelebt worden wäre, da die französischen Dienste nie an eine russische Invasion geglaubt hätten.
Allerdings gibt es ein paralleles Netzwerk von Paramilitärs, die direkte Verbindungen mit ausländischen von der NATO abhängigen Diensten haben, und die dem französischen Oberkommando kaum Rechnung ablegen. Diese Schatten-Soldaten dienen seit 1957 als Relay den italienischen und britischen Kollegen im Rahmen eines Werkzeugs namens "Allied Clandestine Committee". François Mitterrand ärgert sich, als er diese Struktur in den 1980er Jahren entdeckt; er will, dass das aufhört, aber wird von Andreotti für seine Nachlässigkeit verunglimpft... Spuren dieser gedämpften Kontroverse erscheinen zum Zeitpunkt, als der belgische Verteidigungs-Minister ankündigte, der sozialistische Guy Coeme, er sei sich der Existenz eines Netzes bewusst, dessen rasche Auflösung er wünsche und auf das der belgische Senat eine Untersuchung unternommen habe. Das war im November 1990.
In manchen Ländern ist der "Gladio" erst spät ins Rollen gekommen, zu einem Zeitpunkt, wo man anderswo schon denkt, ihn zu deaktivieren. In Finnland z.B. ist das ausschlaggebende Ereignis die Invasion Afghanistans durch die Sowjets. Anderswo wird die lokale Regierung nicht ins Vertrauen gezogen, dies ist der Fall in Österreich, wo die Enthüllungen der 90er Jahre beweisen, dass einzig das Militär darüber wusste und dass alle Politiker verraten und missbraucht wurden…
Das eigenartigste ist die Bedeutung des Netzes in der Schweiz, das von einem Tochterunternehmen der italienischen Loge P26 geführt, und von dem MI6 mit Nachricht versorgt und geleitet wurde. Autonome Widerstandsgruppen wurden eingerichtet, unter der Leitung von Oberst Albert Bachman, der SRG – Informationssicherheits-Gruppe – der nationalen Armee. Die Bachman-Männer spielten eine Rolle in der Ermordung des sowjetischen Ökonomen Leonid Pantschenko, "selbstgemordet" im Jahre 1979 im Kanton Aargau. Zurzeit verfolgte der MI6 sorgsam Dissidenten und Flüchtlinge, darunter diesen Pantschenko, von dem man später sagte, dass er in Boris Jeltsins Nähe gewesen wäre. Solche Russen zu schwächen, zielte darauf hin, jede reale Änderung in der Sowjetunion zu vermeiden oder zumindest zu verzögern, um die Fortsetzung des Kalten Krieges zu fördern.
Es ist amüsant zu beachten, dass das Hauptwerk zu diesem Thema von seriösen angelsächsischen Zeitschriften, wie The Whitehead Journal of Diplomacy and International Relations veröffentlicht wird und dass viele der Elemente dieses Themas von einem Schweizer Forscher, Professor Daniele Ganser, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Studien zur Sicherheit von Zürich seit 2005, exhumiert wurden [2]. Aber nicht im Hinblick auf den Ordner der Schweiz und von Russland, die genau die unbekannten Kapitel für die Schweizer sind...
titre documents joints
"Democratization in the 21st Century", Whitehead Journal of Diplomacy and International Relations (Winter/Spring 2005).
(PDF - 1.5 MiB)
[1] “To create tension within the country to promote conservative, reactionary social and political tendencies. While this strategy was being implemented, it was necessary to protect those behind it because evidence implicating them was being discovered. Witnesses withheld information to cover right-wing extremists”
[2] Der Leser erhält anbei eine Kopie zum Herunterladen von Whitehead Journal of Diplomacy and International Relations. Weitere Werke von Professor Daniele Ganser, finden Sie in der Armées secrètes de l’Otan, die er als Buch von unserer Buchhandlung erwerben kann, und die wir hier in Episoden veröffentlichen.
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