In der Woche vom 23. bis 27. Februar tagte der Beratende Ausschuss des Uno-Menschenrechtsrates, das sogenannte Advisory-Board, in Genf. Dieser Ausschuss setzt sich aus 18 unabhängigen Expertinnen und Experten zusammen, die nach einem kontinentalen Verteilschlüssel von den 47 Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates gewählt werden. Am letzten Dienstag stand unter anderem der Bericht der Arbeitsgruppe, die sich eingehend mit den Fragen der einseitigen Zwangsmass­nahmen und der Verletzung der Menschenrechte befasst hatte, zur Debatte. Damit wird ein wichtiges Thema aufgegriffen, das den Menschenrechtsrat und verschiedene Völkerrechtler schon lange beschäftigt: Inwieweit verletzen unilaterale Sanktionen die Menschenrechte?

Für die breite Öffentlichkeit ist es schon fast zur Gewohnheit geworden: Wenn ein Staat eine Politik betreibt, die den Mächtigen dieser Welt nicht passt, werden irgendwelche Gründe kreiert, um fast selbstverständlich Sanktionen gegen diesen Staat zu ergreifen. Selbst innerhalb der EU wurde der souveräne Staat Österreich im Jahre 2000 wegen angeblicher Demokratiedefizite einem Sanktionenregime unterworfen. Häufig sind es Wirtschaftssanktionen, deren Auswirkungen katastrophal sind. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass vor allem die USA und ihre Verbündeten wiederholt einseitige Zwangsmass­nahmen beziehungsweise unilaterale Sanktionen ergriffen haben. So ist Kuba bis heute Opfer westlicher Zwangsmassnahmen, die einen immensen wirtschaftlichen Schaden hinterlassen haben. Aber auch der lateinamerikanische Staat Venezuela ist von US-amerikanischen Sanktionen betroffen, weil er sich ganz einfach dem neoliberalen Diktat der USA nicht beugt. Weitere Staaten leiden unter dieser westlichen Machtpolitik. Jüngstes Beispiel in dieser Reihe von unilateralen Zwangsmassnahmen sind die wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegen Russland, die einseitig von den USA und der EU ergriffen wurden, weil man den Russen vorwirft, sie hätten die Separatisten im Osten der Ukraine militärisch unterstützt. Ein konkreter Beweis wurde bisher nicht vorgelegt, aber die Sanktionen wurden ergriffen. Man zwingt die Mitgliedsländer hier mitzumachen, obwohl bei der Verlängerung der Sanktionen mehrere EU-Staaten sich dagegen ausgesprochen haben, unter anderem Griechenland und Österreich. Dass diese willkürlichen einseitigen Sanktionen von menschenrechtlicher Seite höchst problematisch sind, erkennt man, wenn man den Untersuchungsbericht liest, den die Arbeitsgruppe im Auftrag des Beratenden Ausschusses verfasst hat. Sie untersuchte verschiedene Staaten, die unter einem Sanktionenregime stehen: Kuba, Simbabwe, Iran und den Gaza-Streifen. Die Auswirkungen dieser Sanktionen sind katastrophal und bedeuten augenscheinlich eine Verletzung grundlegender Menschenrechte. In den sanktionierten Ländern, so der Bericht, sind vor allem die ‹negativen Auswirkungen in der Zivilgesellschaft› zu spüren, weil «die Schwächsten in einer Gesellschaft wie Frauen, Kinder, alte und behinderte Menschen sowie die Armen» am meisten davon betroffen sind. Auch empfiehlt die Arbeitsgruppe in ihrem Bericht unter anderem, einen Sonderberichterstatter zu ernennen, der Menschenrechtsverletzungen als Folge unilateraler Zwangsmassnahmen untersuchen und dokumentieren soll.

Wenn man den Bericht genauer liest, kann man sich vorstellen, welche Auswirkungen das auf die betroffenen Länder hat und was das für die dort lebende Bevölkerung bedeutet.

Kuba

Hier sind vor allem Kinder und Frauen die Leidtragenden. So steht im Bericht, «dass das Embargo zu Unterernährung, von der besonders Kinder und Frauen betroffen sind, zu schlechter Wasserversorgung und zu einem Mangel an medizinischer Versorgung beigetragen hatte». Im weiteren hat das Embargo «den Zugang des Staates zu Chemikalien und Ersatzteilen für die Trinkwasseraufbereitung beschränkt», was unweigerlich zu einer höheren Krankheits- und Todesrate geführt hat. Da das Embargo schon mehr als 50 Jahre anhält und auch von Präsident Obama bis heute nicht aufgehoben wurde, kann man nur erahnen, was das Land erleiden muss.

Simbabwe

Im Jahre 2002 wurde die Führung des Landes von der EU mit Sanktionen belegt. Der Ursprung dieser Sanktionen liegt in der Landreform unter der Präsidentschaft von Robert Mugabe. Laut dem Bericht leiden die 13 Millionen Einwohner dieses Landes unter den Sanktionen: «Die Armuts- und Arbeitslosenraten sind hoch, während die Infrastruktur in einem schlimmen Zustand ist. Krankheiten wie HIV/Aids, Typhus, Malaria führten in dem Land zu einer Lebenserwartung zwischen 53 und 55 Jahren […]. Die Unicef fand heraus, dass nahezu 35 Prozent der Kinder unter 5 Jahren unterentwickelt, 2 Prozent im Wachstum zurückgeblieben und 10 Prozent untergewichtig sind.» Der schlechte Zustand im Land führt neben einer hohen Todesrate zu einer starken Migration mit grossen Risiken.

Iran

Die wirtschaftliche Situation für die iranische Bevölkerung, so der Bericht, ist katastrophal. «Die Sanktionen haben einen Zusammenbruch der Industrie, zu einer galoppierenden Inflation und zu einer massiven Arbeitslosigkeit geführt.» Auch das Gesundheitssystem ist in Iran schwer betroffen. «Obgleich die USA und die EU behaupten, die Sanktionen gälten nicht für humanitäre Güter, haben sie in Tat und Wahrheit die Verfügbarkeit und den Vertrieb von medizinischem Material und Medikamenten schwer behindert […], jedes Jahr bekommen 85 000 Iraner die Diagnose irgendeiner Art von Krebs. Die Einrichtungen, um die Menschen mit Chemotherapie oder Bestrahlung zu behandeln, sind dürftig. Während die Finanzsanktionen, die die Islamische Republik Iran betreffen, im Prinzip keine Arzneimittel oder medizinische Instrumente abdecken, machen sie es jedoch für die iranischen Importeure nahezu unmöglich, die Einfuhr dieser Arzneimittel und Instrumente zu bezahlen.» Keiner Bank im Westen ist es erlaubt, Zahlungsgeschäfte mit Iran vorzunehmen. Die Medikamente, die nur im Westen produziert werden und zur Heilung und Linderung der kranken Menschen beitragen würden, unterliegen durch die Unmöglichkeit, diese zu bezahlen, indirekt den Sanktionen.

Gaza-Streifen

«Die israelische Regierung», so der Bericht, «behandelt dieses Gebiet [den Gaza-Streifen] als fremde Einheit und setzt seine Einwohner einer schweren finanziellen und wirtschaftlichen Blockade aus. Während des 52 Tage dauernden Kampfes im Juli und August 2014 haben Israels Bomben im Gaza-Streifen mehr als 53 000 Gebäude zerstört oder schwer beschädigt. Die andauernde Blockade verletzt die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Menschen, die unter den einseitigen Zwangsmassnahmen leiden. Unterernährung, besonders bei den Kindern, grassiert. Zehntausende Familien leben in den Ruinen ihrer Häuser oder in ungeheizten Containern, die von den Behörden vor Ort eingerichtet wurden. Im Dezember 2014 wurde dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten berichtet, dass eine Anzahl von Kindern unter 10 Jahren erfroren sind.» Auch wird erwähnt, dass verschiedene Berichte der Uno und von Nicht-Regierungsorganisationen vor der schlechten Qualität des Trinkwassers warnen, das die Gesundheit einer grossen Anzahl von Menschen bedroht.

Nachdem der Bericht von der Arbeitsgruppe präsentiert wurde, gab es zunächst eine Diskussion unter den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses, und danach öffnete der Präsident des Ausschusses die Diskussion für die anwesenden Botschafter.

Der diplomatische Vertreter Kubas nützte die Gelegenheit, um auf das Unrecht der US-amerikanischen Sanktionen gegen sein Land aufmerksam zu machen. Er verurteilte die vor über 50 Jahren in Kraft getretenen Sanktionen als einen Verstoss gegen die Menschenrechte. Das Verhängen von Sanktionen sei ein Akt der Willkür, der eine unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates bedeute. Auch sieht er keine Änderung der US-Haltung und prangert diese als krasse Verletzung der Menschenrechte und der Uno-Charta an.

Sanktionen seien ein unzulässiger Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates, so auch die Argumentation des diplomatischen Vertreters Venezuelas. Ziel dieser Sanktionen sei es, einen Regierungswechsel (Regime change) zu bewirken. Mass­nahmen gegen einen Staat dürften nur von der Uno, sprich vom Sicherheitsrat, ergriffen werden und nicht einseitig von einem mächtigen Staat, nur weil das betroffene Land sich nicht dem Diktat dieses mächtigeren Staates unterordnen wolle. Er sieht darin eine Verletzung der Prinzipien der Uno-Charta.

Während der 28. Session des Menschenrechtsrates, die vom 2. bis zum 27. März stattfindet, wird dieser Bericht, der im September 2013 von dort aus in Auftrag gegeben worden ist, vorgestellt und über dessen Annahme abgestimmt. Wenn er angenommen wird, steht der Einsetzung eines Sonderberichterstatters und der Möglichkeit, internationale Normen aufzustellen, nichts mehr im Wege.

Quelle
Zeit Fragen (Schweiz)

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