Während die Medien der Nato-Länder krank sind, befallen von einem plötzlichen Ausbruch antirussischen Fiebers, deutet Thierry Meyssan den russischen Militäreinsatz in Syrien als ersten Schritt zu einer Totalüberholung der internationalen Beziehungen. Ihm zufolge geht es nicht darum, ob Russland die Arabische Republik Syrien vor den Dschihadisten retten wird, sondern ob seine Armee die der Vereinigten Staaten in der Region teilweise ersetzen kann, um dort die Sicherheit zu gewährleisten. Gestützt auf ein internes Dokument des Sicherheitsrates bestätigt er, dass Wladimir Putin und Barack Obama in gegenseitigem Einverständnis gegenüber den US-amerikanischen liberalen Falken und den Neokonservativen handeln.
Russland lässt sich Zeit bei den Vereinten Nationen. Seine Führung ist überzeugt, dass die terroristischen islamistischen Gruppen seit den fünfziger Jahren durch die CIA ermutigt wurden, aber dass sie heute nicht nur die Stabilität der Region bedrohen, sondern die Interessen der USA selbst. Wie Wladimir Putin im letzten Jahr im Valdai-Club erklärte, ist es also wünschenswert zusammenzuarbeiten, um die aktuellen Probleme zu lösen.
Allerdings ist die russische Führung gleichermaßen davon überzeugt, dass Washington seinen Partnern nur zuhört, wenn sie stark sind. Also hat die Duma über eine Militärintervention gegen terroristische Gruppen in Syrien debattiert und ihre Zustimmung dazu gegeben. Es handelt sich um die zweite Intervention außerhalb der Russischen Föderation seit ihrer Schaffung 1991 – die erste war der Südossetien-Krieg von 2008. Unverzüglich ließ das russische Heer seine Jagdbomber in Latakia aufsteigen und Einrichtungen von al-Qaida und Ahrar Al-Sham zerstören.
Die Wahl der Angriffsziele erstrebt gleichzeitig
– die anderen Mächte zur Klärung ihrer Politik gegenüber diesen terroristischen Gruppen zu zwingen,
– eine Botschaft an die Türkei zu richten, deren Offizieren zur Zeit Ahrar Al-Sham unterstellt ist;
– schließlich auch zu zeigen, dass keine terroristische Gruppe verschont wird.
Diese Intervention drückt die Absicht Russlands aus, im Vorderen Orient eine Rolle zu spielen – nicht gegen die Vereinigten Staaten, sondern mit ihnen. Weit entfernt davon, Präsident Obama herauszufordern, will Russland ihm im Gegenteil die militärische Unterstützung geben, die er dringend braucht, während das Pentagon zur Arena für interne Auseinandersetzungen geworden ist.
Wer unterstützt die terroristischen Gruppen?
Es ist üblich geworden zuzugeben, dass die Dschihadisten in Syrien von ausländischen Kräften bewaffnet und finanziert werden. Kein Staat bestätigt indessen öffentlich eine solche Unterstützung. Die Reaktionen auf den russischen antiterroristischen Polizeieinsatz in Syrien haben die Widersprüchlichkeiten zahlreicher weiterer Beteiligter offen gelegt.
So hat der französische Außenminister Laurent Fabius erklärt, „Eine Koalition [um Russland], deren Grundlagen jeden Zusammenschluss von Syrern gegen den Terrorismus verbieten, würde in Wirklichkeit der Propaganda von Daesh entgegenkommen und seine Anziehungskraft verstärken“. Damit hat er gezeigt, dass es nicht das Ziel Frankreichs und seiner Verbündeten im Fall Syriens – der Türkei und Saudi-Arabiens – war, gegen Daesh zu kämpfen, sondern gegen die russische Vision der internationalen Beziehungen.
Der Präsident des Senatsausschusses für die Streitkräfte John McCain hat bestätigt, dass Ahrar Al-Sham Bestandteile enthält, die von den USA ausgebildet und bewaffnet wurden. Folglich ist nach seiner Meinung der russische Angriff gegen die Terroristen eine Aggression gegen die Vereinigten Staaten. Mit derselben Logik hat er empfohlen, Boden-Luft-Raketen an die Dschihadisten zu liefern, damit sie sich gegen die russischen Flugzeuge wehren können.
Eine Botschaft an die Türkei
In Kenntnis der Tatsache, dass die Gruppe Ahrar Al-Sham, früher durch Kuwait gesponsert, jetzt weitgehend durch Offiziere der türkischen Armee flankiert und finanziert wird, bedeuten diese Bombardierungen auch eine Warnung an Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Dieser ersetzte zunächst den saudischen Prinzen Bandar bin Sultan als Koordinator des internationalen islamischen Terrorismus. Dann trat er an die Stelle von Qatar und hat die Türkei zum Refugium der Muslimbüder gemacht. Im Dezember 2014 hatte die Türkei ein strategisches Gasabkommen mit Russland unterzeichnet, welches sie schließlich auf Druck der Vereinigten Staaten wieder aufgab. Gleichzeitig stellten die Türkei und die Ukraine eine „Internationale islamische Brigade“ auf, um gegen „die russische Besetzung der Krim“ zu kämpfen. Folglich sind die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau plötzlich angespannt [1].
Während einer Reise des Präsidenten Erdoğan am 23. September nach Moskau anlässlich der Einweihung der größten Moschee Europas war es seinem russischen Amtskollegen zwar gelungen, ihn zur Mäßigung seiner Rhetorik gegen die Arabische Republik Syrien zu bewegen, aber nicht zur Aufgabe seiner Aggressionspolitik.
Zurück in seinem Land hatte Erdoğan sich mit der Erklärung begnügt, dass der Abschied von Präsident al-Assad nicht mehr Vorbedingung für eine Regelung der syrischen Krise wäre. Weil Russland diesen Fortschritt unzureichend fand, stellte es Befähigungsnachweise für den Anti-Daesh-Kampf an die PKK aus und ließ damit durchblicken, dass es die türkische kurdische Partei gegen ihre Regierung unterstützen könnte.
Keine terroristische Gruppe wird verschont
Indem Russland beschloss, al-Qaida und Ahrar Al-Sham zu schlagen, verschob es die Debatte von der scheinbaren Einmütigkeit im Kampf gegen Daesh auf die Kakophonie gegenüber al-Qaida. Wenn heute alle Welt zugibt, dass die durch Osama bin Laden gegründete Organisation ursprünglich eine Schöpfung der USA ist, so glaubt jeder – oder gibt zu glauben vor –, dass sie sich gegen ihren Schöpfer gewandt und ihm die schrecklichen Verluste des 11. September 2001 zugefügt hat.
Nun hat sich aber al-Qaida in Libyen mit der Nato verbündet, um die Dschamahiriya zu stürzen und Muammar al-Gadaffi zu ermorden. Diese Tatsache war so schockierend für den US-amerikanischen General Carter Ham, den Kommandeur des AfriCom, dass er darum bat, zugunsten des Atlantischen Bündnisses aus seinem Amt abgelöst zu werden.
In Syrien lieferten Frankreich und die Türkei durch Vermittlung der Freien Syrischen Armee Munition an al-Qaida, wie ein Schriftstück der FSA beweist, das am 14. Juli 2014 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übermittelt wurde [2].
Und aktuell rufen General David Petraeus, ehemals Direktor der CIA, und sein Freund John McCain dazu auf, al-Qaida gegen die Arabische Republik Syrien zu unterstützen.
Die Gruppe Ahrar Al-Sham selbst wurde kurz vor Beginn der Ereignisse in Syrien, im März 2011, durch die Muslimbrüder gegründet, von denen einige al-Qaida-Kader waren. Nebenbei zeigt ihre Existenz, dass – konträr zu der Behauptung des Präsidenten Hollande am Rednerpult der UN – der Terrorismus in Syrien schon vor Beginn des Krieges existierte und nicht dessen Folge ist, sondern die Ursache, wie von Präsident al-Assad bestätigt wird.
Was auch immer die Lügen der Nato und die Widersprüchlichkeiten sind, die sie bei dem einen oder anderen verursachen, Russland wird definitiv nicht bestimmte, für ihre geheimen Sponsoren wirkende Gruppen verschonen, sondern alle Ziele bombardieren, die mit den terroristischen Gruppen verbunden sind, welche die Uno auflistet (al-Qaida, al-Nusra, Daesh).
Wer stellt sich aktiv gegen die russische Intervention?
Seit Beginn der Entsendung der russischen Streitkräfte – und über Bodentruppen der OVKS ist noch nicht debattiert worden – wird weltweit eine breite Desinformationskampagne geführt, um Russland vorzuwerfen,
– dass es die Syrische Arabische Armee unterstützt;
– dass es nicht nur terroristische Gruppen, sondern die „regimefeindliche“ Zivilbevölkerung bombardiert;
– dass es zusammen mit der iranischen Revolutionsgarde eine breite Offensive vorbereitet.
Die Kriegspropaganda, die Grundlage und Merkmal des Krieges der vierten Generation war, den die Nato vom Februar 2011 bis zum März 2012 koordinierte, hatte sich schrittweise abgeschwächt. Während man ein Jahr lang täglich erfundene Geschichten gehört hatte, die angebliche Verbrechen des „Regimes“ illustrieren sollten, beschränkte sich die Propaganda von jener Zeit an auf einige kleine Gruppen – darunter die SOHR, eine Londoner Brutstätte der Muslimbrüder, von der die Medien der Natoländer sich abfüllen ließen. Mit pawlowschem Reflex reproduzieren diese Medien ohne nachzudenken die schamlosesten Lügen.
Zuerst wurde ein Video der Syrischen Arabischen Armee benutzt, in dem man russische Stimmen hört, um den Eindruck zu erwecken, die Syrer würden durch russische Offiziere angeleitet. In Wahrheit entstammte die Stimme einem Walkie-Talkie-Gespräch zwischen Dschihadisten. Yuri Artamonov deckte diesen Interpretationsfehler auf, indem er das Tonband genau studierte [3].
Dann gab es eine Flut von Bildern und Videos über die zivilen Opfer der russischen Bombardierungen. Die Bilder und Videos wurden verbreitet, während in der Duma [Kammer des russischen Parlaments] die Debatte [über den geplanten Einsatz] lief, das heißt vor den Bombardierungen.
Schließlich stellte man die Anwesenheit von iranischen Kämpfern in Syrien als Vorbereitung für eine große Gegenoffensive des „Regimes“ und seiner Verbündeten gegen die „Rebellen“ vor. In Wahrheit waren nach dem Fall von Palmyra die iranischen Streitkräfte von den USA bevollmächtigt worden, sich in Syrien einzumischen, aber ihre Zahl bleibt unter 5.000, was nicht ausreicht, um eine Gegenoffensive in einem riesigen Gebiet zu führen. Was die bewaffneten Rebellen betrifft, so haben wir bereits darauf hingewiesen, dass alle entweder mit al-Qaida oder mit Daesh verbunden sind.
Bleibt nachzuweisen, wer die Kampagne von Falschmeldungen organisiert und warum. Wenn es nicht möglich ist, die Lösung zu finden, solange man nur Syrien im Blick hat, so ist die Antwort klar, wenn man dieses Kriegstheater in den Zusammenhang des Umbaus der internationalen Beziehungen stellt.
Der russische Vorschlag an den Sicherheitsrat
Russland hat vorgeschlagen, dass der Sicherheitsrat den ganzen Monat Oktober hindurch die Art und Weise des Kampfes gegen den Terrorismus nicht nur in Syrien, sondern in ganz Nordafrika und dem Nahen Osten untersucht [4].
Offensichtlich sind Moskau und Washington übereingekommen, heute das Abkommen umzusetzen, das sie 2012 beschlossen haben – und welches Clinton, Petraeus, Allen, Feltman, Hollande und Fabius sabotierten: sich die Verantwortlichkeiten in der arabischen Welt zu teilen. Russland mag sich allerdings nicht auf Treibsand einspannen lassen und ruft zunächst zur Sanierung des Geländes auf.
Erinnern wir uns an die Grundlage dieses Abkommens: die USA wollten einen Teil ihrer in der Region stationierten Truppen abziehen, wenn Russland die Sicherheit Israels gewährleistet [5].
Russland setzt als Bedingung für diese neue Aufteilung der Welt die Überführung eines imperialistischen Systems, so wie das von Jalta, in ein System, das auf das internationale Recht im Allgemeinen und auf die Charta der Vereinten Nationen im Besonderen gegründet ist. Es verurteilt im Voraus „die Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten, den Rückgriff auf Gewalt ohne die Ermächtigung durch den Sicherheitsrat und die Lieferung von Waffen an extremistische nichtstaatliche Akteure“.
Man täusche sich nicht darüber, dass mit dieser Lösung die Anwendung der Resolutionen des Sicherheitsrates gemeint ist, darin einbezogen jene, die Israel betreffen, die Umsetzung der Arabischen Friedensinitiative und des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans zum Nuklearprogramm Irans, die Schaffung von Kontrollmechanismen für die Einhaltung der Gesamtheit dieser Texte durch die Staaten und schließlich der weltweite Kampf gegen die Ideologie der Muslimbrüder.
Kurz und gut:
– Trotz der schweren Kontroversen, die gegen ihn geführt werden (Aufgebot des Raketenschutzschilds, Regierungsumsturz in der Ukraine, Versuch der Anklage Wladimir Putins vor einem internationalen Gericht), bedenkt der Kreml, dass er der Obama-Regierung helfen könnte, die mangelnde Effizienz ihrer Politik zu erkennen und sich auf das internationale Recht zurückzubesinnen.
– Nur unter dieser Voraussetzung ist Russland bereit, die Verantwortlichkeit für die Sicherheit Nordafrikas und des Mittleren Ostens einschließlich der Sicherheit Israels mit den USA zu teilen.
– Die russischen Bombardierungen sind nicht gegen die Verbündeten der Vereinigten Staaten gerichtet, sondern sind eine militärische Unterstützung für Präsident Obama, auf den die Anti-Daesh-Koalition seit einem Jahr nicht hört.
– Russland hofft, die USA zu einer regionalen Friedenskonferenz bewegen zu können mit dem Ziel, die Resolutionen des Sicherheitsrats – einschließlich des Rückzugs Israels in die Grenzen von 1967 –, die Arabische Friedensinitiative und den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan zum Nuklearprogramm Irans umzusetzen.
– Um den islamischen Terrorismus endgültig zu besiegen, muss dessen Ursache bekämpft werden: die materialistische Ideologie der Muslimbrüder.
[1] „Das nahende Ende des Systems Erdoğan“, „Ukraine und Türkei schaffen eine islamische internationale Brigade gegen Russland“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 15. Juni und 5. Oktober 2015.
[2] « Résolution 2165 et débats (aide humanitaire en Syrie) », Réseau Voltaire, 14 juillet 2014.
[3] “Are there Russian troops in Syria?”, Yuri Artamonov, September 5, 2015.
[4] À lire absolument : « Proposition russe d’un débat au Conseil de sécurité sur le terrorisme », Réseau Voltaire, 1er octobre 2015.
[5] „Werden sich Obama und Putin den Nahen-Osten teilen?“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Оdnako (Russland), Voltaire Netzwerk, 22. Februar 2013.
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