Während der Krieg auf dem Boden zu Ende geht und nur Idlib noch von den Terroristen befreit werden muss, nehmen die Westmächte wieder den Kampf auf. Sie haben soeben ihre Ansprüche dem Sondergesandten der Vereinten Nationen, Staffan de Mistura, vorgelegt. Ohne jegliche Überraschung weisen die Vereinigten Staaten den von Russland geleiteten Ablauf einzig deswegen zurück, weil sie an ihm nicht teilgenommen haben, während das Vereinigte Königreich und Frankreich institutionelle Regelungen auferlegen wollen, die ihnen ermöglichen würden, das Land heimlich zu kontrollieren.
Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de Mistura, hat in Genf eine Delegation der Astana Gruppe (Iran, Russland, Türkei) empfangen, und dann am 14. September eine andere, die Kleine Gruppe (Saudi Arabien, Ägypten, USA, Frankreich, Jordanien und das Vereinigte Königreich).
Botschafter James Jeffrey und Oberst Joel Rayburn führten für den Westen die US-Delegation, während der Botschafter und ehemalige Direktor des ausländischen Geheimdienstes (DGSE 2012-16), François Sénémaud, den Vorsitz der französischen Delegation innehatte.
Jede Delegation hat den Vereinten Nationen ein geheimes Dokument über ihre Ansprüche übergeben, um die laufenden inner-syrischen Verhandlungen zu beeinflussen. Russia Today hat das westliche Dokument der Öffentlichkeit offenbart [1], so wie Kommersant vor zwei Wochen die internen Richtlinien der Vereinten Nationen aufgedeckt hatte [2].
– Erste Bemerkung: der Punkt 3 des Dokuments der Kleinen Gruppe übernimmt die interne Richtlinie der UNO: „Es wird keine internationale Wiederaufbauhilfe in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten geben, ohne einen glaubwürdigen politischen Prozess, der zwangsläufig zu einer Verfassungsreform und zu Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen, zur Zufriedenheit der möglichen Geberländer führt.“ [3].
Deutschland, das an Sitzungen der Kleinen Gruppe teilgenommen hat, scheint in ihr nicht vertreten gewesen zu sein. Am Vortag hatte sich sein Außenminister, Heiko Maas, von diesem Punkt distanziert. Kurz vor dem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen, Sergei Lavrov, hatte er getweeted, dass sein Land bereit sei, sich an dem Wiederaufbau zu beteiligen, "Wenn eine politische Lösung existiert, die zu freien Wahlen führt“ [4]. Für die Kleine Gruppe und für die Vereinten Nationen wird der Wiederaufbau nicht beginnen, solange die potenziellen Spender nicht ihre Kriegsziele erreicht haben, Deutschland kann jedoch den Prozess der politischen Aussöhnung begleiten.
– Zweite Bemerkung: die verschiedenen internationalen Redner beziehen sich auf die Resolution 2254 vom 18. Dezember 2015 [5]. Die Kleine Gruppe weitet jedoch den Sinn des Textes aus. Während die Resolution des Sicherheitsrats fordert, dass der Entwurf der Verfassung ausschließlich Sache der Syrer sei, behauptet die Kleine Gruppe, dass der Entwurf durch einen Ausschuss unter der Schirmherrschaft und der Kontrolle der UNO geschrieben werden müsse.
Es geht offensichtlich darum, die Beschlüsse von Sotschi zu durchkreuzen, d.h. sie sowohl zu zerstören, was in den letzten Monaten geschehen ist, als auch sich der Rolle Russlands in der Lösung der Krise zu widersetzen [6]. Die Vereinigten Staaten wollen ihren unverzichtbaren Macht-Status behalten, während Frankreich und Großbritannien ihr koloniales Vorhaben fortsetzen wollen.
– Dritte Bemerkung: die Kleine Gruppe will nicht nur die Verantwortung für die Erarbeitung der Verfassung von Sotschi auf Genf übertragen, sie hat ja schon ihre eigene Idee, wie sie aussehen soll. Es ginge darum, das dem Irak von Washington auferlegte Modell zu reproduzieren, und dort eine Dauerkrise zum größtmöglichen Wohl des Westens aufrecht zu erhalten. Die Befugnisse des Präsidenten wären ausschließlich protokollarischer Art; die des Premierministers gäbe es nicht auf regionaler Ebene; und die der Armee sollten eingegrenzt werden.
Die Kolonialmächte erhalten ihre Macht im Nahen Osten unter dem Anschein der Demokratie aufrecht. Sie schaffen es immer, ihren Völkern nicht repräsentative Regierungen aufzudrängen. Seit 1926 im Libanon und seit 2005 im Irak wurden Institutionen entwickelt, um vor allem zu verhindern, dass diese Länder wieder Nationalstaaten werden. Der Libanon ist in religiöse Gemeinschaften gespalten und der Irak in separate Regionen mit Vorherrschaft einer religiösen Gemeinschaft. Was Israel betrifft, hat es keine vertretende Regierung mehr, nicht wegen seiner Verfassung - es hat ja keine-, sondern wegen seines Wahlsystems.
– Vierter Punkt: während die Resolution 2254 erlässt, dass die Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden sollen, ist die Kleine Gruppe der Meinung, dass das für die Organisation der Wahlen verantwortliche syrische Organ unter dem Befehl der Vereinten Nationen arbeiten müsse, insbesondere in Bezug auf Betrugsbeschwerden.
Auf diese Art und Weise behalten sich die Westmächte die Möglichkeit vor, jene Ergebnisse zu widerrufen, die ihren Erwartungen nicht entsprechen: es wird einfach genügen, eine Beschwerde wegen Betrugs einzureichen und sie für gültig zu erklären. Das syrische Volk hätte das Recht zu wählen, solange es in die ihm gestellte Falle tappt, und zwar noch immer unter der Bedingung, dass es für diejenigen stimmt, die wir für die Syrer ausgewählt haben.
In Europa trachten die Bürger nach ihrer Souveränität, in Syrien kämpfen sie für ihre Unabhängigkeit.
[1] “Statement of Principles for the Syria Small Group”, Voltaire Network, 18 September 2018.
[2] “Parameters and Principles of UN assistance in Syria”, by Jeffrey D. Feltman, Voltaire Network, 3 September 2018.
[3] “There will be no international reconstruction assistance in Syrian-governement-held areas absent a credible political process that leads unalterably to constitutional reform and UN-supervised elections, to the satisfaction of potential donor countries”.
[4] „Deutschland stellt sich gegen die Richtlinie Feltman“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 14. September 2018.
[5] „Resolution 2254“, Voltaire Netzwerk, 18. Dezember 2015.
[6] „Einverständnis unter den Syrern in Sotschi“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 6. Februar 2018.
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