In seiner Rede vom 16. August vor dem Weißen Haus gab Präsident Biden eine lapidare Erklärung ab: "Unsere Mission in Afghanistan hatte nie zum Ziel den Aufbau einer Nation, sie hatte nie zum Ziel, eine einheitliche und zentralisierte Demokratie zu schaffen" [1]. Ein Grabstein, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten selbst gelegt wurde, auf die offizielle Narrative, die während 20 Jahren die "Mission in Afghanistan" begleitete, bei der auch Italien (und Frankreich) Menschenleben und Milliarden Euro an öffentlichen Geldern verloren. "Unser einziges vitales nationales Interesse in Afghanistan ist nach wie vor das, was es immer war: einen Terroranschlag auf das amerikanische Vaterland zu verhindern", erklärt Biden. Aber auf seine Worte fällt ein Schatten durch die Washington Post, die ihre eigenen Bücherschränke von den 20 Jahre lang ausgestrahlten Fake-News-Skeletten befreien will, mit dem Titel: "Die Präsidenten der Vereinigten Staaten und die militärische Führung haben das Publikum bewusst über den längsten amerikanischen Krieg, zwei Jahrzehnte lang in Afghanistan, in die Irre geführt." [2].

Die Öffentlichkeit wurde "vorsätzlich getäuscht", seit die Vereinigten Staaten im Oktober 2001 zusammen mit Großbritannien Afghanistan angriffen und dort einfielen, mit der Begründung, sie verfolgten Osama bin Laden, der als Autor des Terroranschlags vom 11. September (dessen offizielle Erklärung immer weniger glaubhaft wurde) verfolgt wurde [3]. Das eigentliche Ziel des Krieges war die Besetzung dieses Gebiets von größter geostrategischer Bedeutung, das an die drei ehemaligen zentralasiatischen Republiken (Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan), Iran, Pakistan und China (autonome Region Xinjiang Uigur) grenzt. Zu dieser Zeit gab es bereits starke Anzeichen für eine Annäherung zwischen China und Russland: Am 17. Juli 2001 unterzeichneten die Präsidenten Jiang Zemin und Wladimir Putin den Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der als "Eckpfeiler" der Beziehungen zwischen den beiden Ländern definiert wurde. Washington betrachtete das aufkeimende Bündnis zwischen China und Russland als Bedrohung für die amerikanischen Interessen in Asien, als die USA gerade versuchten, das Vakuum vor den anderen zu besetzen, das der Zerfall der UdSSR in Zentralasien hinterlassen hatte. "Es besteht die Möglichkeit, dass in Asien ein militärischer Rivale mit einer gewaltigen Ressourcenbasis entsteht", warnte das Pentagon in einem Bericht vom 30. September 2001.

Was wirklich auf dem Spiel stand, zeigte sich daran, dass die NATO unter US-Führung im August 2003 die "Führungsrolle der ISAF" (die von den Vereinten Nationen im Dezember 2001 eingerichtete Internationale Sicherheitsbeistandstruppe, ohne dass sie zu diesem Zeitpunkt dazu befugt war) gewaltsam übernahm. Von da an nahmen mehr als 50 NATO-Mitglieder und Partner unter US-Kommando am Krieg in Afghanistan teil.

Die politisch-militärische Bilanz dieses Krieges, der Blutströme vergossen und enorme Ressourcen verbrannt hat, ist katastrophal: Hunderttausende Tote bei den Zivilisten, die durch kriegerische Operationen verursacht wurden, plus eine unübersehbare Zahl "indirekter Todesfälle" durch Armut und kriegsbedingte Krankheiten. Allein die USA - dokumentiert die New York Times - haben mehr als 2500 Milliarden Dollar ausgegeben. Um 300.000 Regierungssoldaten auszubilden und zu bewaffnen, die innerhalb weniger Tage vor dem Vormarsch der Taliban geflohen sind, zahlten die USA etwa 90 Milliarden Dollar. Etwa 55 Milliarden für den "Wiederaufbau" wurden größtenteils aufgrund von Korruption und Ineffizienz verschwendet. Mehr als 10 Milliarden Dollar, die in Drogenbekämpfungsmaßnahmen investiert wurden, haben zur Vervierfachung der Opiumanbaufläche geführt, so dass Afghanistan heute 80% des illegal produzierten Opiums weltweit liefert.

Emblematisch ist die Geschichte von Ashraf Ghani, dem Präsidenten, der derzeit in ein goldenes Exil flüchtet. An der American University of Beirut ausgebildet, machte er an den Universitäten Columbia, Berkeley und John Hopkins in den USA und bei der Weltbank in Washington Karriere. Im Jahr 2004 erhielt er als Finanzminister von den „Geberländern“, darunter Italien, ein "Hilfspaket" in Höhe von 27,5 Milliarden Dollar. 2014 wurde er in einem Land, das sich im Krieg unter der Besatzung der USA/NATO befindet, mit offiziell 55% Stimmen zum Präsidenten ernannt. 2015 empfing ihn der (italienische) Präsident Sergio Mattarella mit allen Ehren im Quirinal, zusammen mit Verteidigungsministerin Roberta Pinotti, die ihn zuvor in Kabul getroffen hatte.

Diese katastrophale Erfahrung kommt noch zu jenen hinzu, die Italien bereits gemacht hat, weil es unter Verstoß gegen seine eigene Verfassung an den Nato-Kriegen auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Nordafrika teilgenommen hat. Aber die politischen Kräfte, die im Parlament sitzen, haben daraus keine einzige Lehre gezogen. Während in Washington der Präsident selbst die Lügenberge über die "hohen humanitären Ziele" zerstört, mit denen die italienische Beteiligung am Krieg in Afghanistan begründet wurde, löscht man in Rom, wie in Orwells Roman 1984, die Geschichte aus.

Übersetzung
Horst Frohlich
Quelle
Il Manifesto (Italien)

[1Ansprache von Joe Biden zu Afghanistan“, von Joseph R. Biden Jr., Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 16. August 2021.

[2U.S. exit forces a
reconsideration of global role, John Hudson & Missy Ryan, The Washington Post, August 18, 2021.

[3L’Effroyable imposture, Thierry Meyssan, Demi-Lune (2002).