Sehr geehrte Damen und Herren,
Herr Wolfgang Ischinger hat das Thema «Kollaps der Weltentwicklung» auf die Tagesordnung gesetzt. Man muss zustimmen, dass die Ereignisse bei weitem nicht nach einem optimistischen Szenario verlaufen. Aber die Argumentation mancher unserer Kollegen, es sei zu einem plötzlichen und schnellen Zusammenbruch der seit Jahrzehnten herrschenden Weltordnung gekommen, können so nicht hingenommen werden.
Es ist eher umgekehrt – die Ereignisse des letzten Jahres haben gezeigt, dass unsere Warnungen hinsichtlich der Existenz von tiefen Systemproblemen bei der Organisation der europäischen Sicherheit und in den internationalen Beziehungen im Ganzen gerechtfertigt waren. Ich möchte an die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin erinnern, die er von dieser Tribüne vor acht Jahren gehalten hat.
Die Konstruktion der Stabilität, die sich auf die UN-Satzung und die Prinzipien von Helsinki gestützt hat, ist schon lange untergraben worden – durch die Handlungen der USA und ihrer Verbündeten in Jugoslawien (die Bombardements dort), im Irak, in Libyen, mit der Erweiterung der Nato nach Osten und der Schaffung von neuen Demarkationslinien. Das Projekt der Errichtung eines «europäischen Hauses» ist gerade deshalb nicht umgesetzt worden, weil unsere Partner im Westen sich nicht von den Interessen der Schaffung einer offenen Sicherheitsarchitektur bei gegenseitiger Achtung der Interessen leiten liessen, sondern von den Illusionen und Überzeugungen der Sieger im Kalten Krieg. Die im Rahmen der OSZE und des Russland-Nato-Rates feierlich angenommenen Verpflichtungen, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen zu gewährleisten, wurden in der Praxis ignoriert.
Das Problem der Raketenabwehr ist ein schillerndes Beispiel für den destruktiven Einfluss einseitiger Schritte auf dem Gebiet militärischer Aktivitäten, die den elementaren Interessen anderer Staaten zuwiderlaufen. Unsere Angebote zur gemeinsamen Arbeit bei der Raketenabwehr wurden zurückgewiesen. Statt dessen wurde uns vorgeschlagen, bei der Schaffung der globalen amerikanischen Raketenabwehr mitzumachen, streng nach den Richtlinien aus Washington. Wie wir schon mehrmals betont und anhand von Tatsachen erklärt haben, birgt diese Raketenabwehr reelle Risiken für die russischen Kräfte der atomaren Eindämmung.
Jede beliebige Handlung, die die strategische Stabilität untergräbt, zieht unweigerlich Gegenmassnahmen nach sich. Damit wird dem gesamten System der internationalen Verträge auf dem Gebiet der Waffenkontrolle, deren Lebensfähigkeit unmittelbar vom Faktor der Raketenabwehr abhängt, ein langfristiger Schaden zugefügt.
Wir verstehen nicht einmal, womit diese amerikanische Obsession, eine globale Raketenabwehr zu schaffen, zusammenhängt. Mit dem Streben nach unanfechtbarer militärischer Vorherrschaft? Mit dem Glauben an die Möglichkeit, Probleme technisch zu lösen, die ihrem Wesen nach politische sind? Wie dem auch sei: Die Raketengefahren haben nicht abgenommen, aber im Euro-Atlantik ist ein starker Reizfaktor entstanden, den zu überwinden sehr viel Zeit brauchen wird. Wir sind dazu bereit. Ein anderer destabilisierender Faktor war die Weigerung der USA und anderer Nato-Mitglieder, die Vereinbarung über die Anpassung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) zu ratifizieren, und das hat diesen Vertrag begraben.
Dabei versuchen unsere amerikanischen Kollegen in jeder von ihnen selbst geschaffenen schwierigen Situation, die Schuld auf Russland abzuwälzen. Nehmen wir die in letzter Zeit aufgelebten Diskussionen um den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF). Die Experten sind gut mit den Handlungen der USA vertraut, die dem Geist und den Buchstaben dieses Dokuments entgegenlaufen. So hat Washington im Rahmen der Errichtung eines globalen Raketenabwehrsystems ein grossangelegtes Programm zur Schaffung von Zielflugkörpern entfaltet, deren Charakteristiken analog zu durch den INF-Vertrag verbotenen landgestützten ballistischen Raketen sind oder diesen sehr nahe kommen. Die von den USA breit verwendeten Kampfdrohnen fallen unter die vertraglich festgelegte Definition von landgestützten Flügelraketen mittlerer Reichweite. Der Vertrag verbietet ausdrücklich Abschussvorrichtungen für Abfangflugkörper, die bald in Rumänien und Polen aufgestellt werden sollen, denn von ihnen können Flügelraketen mittlerer Reichweite gestartet werden.
Die amerikanischen Kollegen weigern sich, diese Fakten anzuerkennen und behaupten, sie hätten «begründete» Vorwürfe gegen Russland hinsichtlich des INF-Vertrags, aber sie bemühen sich, Konkretes aussen vor zu lassen.
Unter Berücksichtigung dieser und vieler anderer Faktoren zu versuchen, die jetzige Krise mit den Ereignissen des letzten Jahres in Zusammenhang zu bringen, bedeutet unserer Meinung nach, sich einer gefährlichen Selbsttäuschung hinzugeben.
Es kommt zur Kulmination des im letzten Vierteljahrhundert von unseren westlichen Kollegen gefahrenen Kurses auf die Bewahrung ihrer dominanten Stellung in den Weltangelegenheiten und die Ergreifung des geopolitischen Raums in Europa mit allen Mitteln. Von den GUS-Staaten – unseren nächsten Nachbarn, die mit uns seit Jahrhunderten wirtschaftlich, humanitär, historisch, kulturell und sogar familiär verbunden sind – wird die Wahl gefordert: «Entweder mit dem Westen oder gegen den Westen». Das ist die Logik eines Spiels mit Null-Resultat, das alle doch eigentlich als Teil der Vergangenheit hinter sich lassen wollten.
Auch die strategische Partnerschaft zwischen Russland und der Europäischen Union, die der Entwicklung von Mechanismen den Weg der Konfrontation des gegenseitig vorteilhaften Handelns vorgezogen hat, hat die Härteprüfungen nicht überstanden. Da muss man natürlich an die nicht wahrgenommene Möglichkeit der Umsetzung der im Juni 2010 in Merseburg von Kanzlerin Merkel vorgeschlagenen Initiative zur Einrichtung eines Russland-EU-Ausschusses zu aussenpolitischen und Sicherheitsfragen auf der Ebene der Aussenminister denken. Russland hat diese Idee unterstützt, die Europäische Union hat sie aber verworfen. Ein solcher Mechanismus des ständigen Dialogs (wenn er denn geschaffen worden wäre) hätte es erlaubt, operativer und effektiver Probleme anzugehen und rechtzeitig gegenseitige Besorgtheiten aus dem Weg zu räumen.
Was die Ukraine betrifft, haben unsere amerikanischen Kollegen und unter ihrem Einfluss auch die Europäische Union in jeder Etappe der Entwicklung der Krise Schritte unternommen, die zur Eskalation führten. So war es, als die EU sich weigerte, unter Beteiligung Russlands die Folgen der Einführung des Wirtschaftsteils des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine zu erörtern, und davor ging es um die gegen die Regierung gerichteten Unruhen. So war es auch, als die westlichen Partner den Kiewer Behörden ein ums andere Mal «Ablassbriefe» erteilten, und Kiew, statt das Versprechen zu erfüllen, einen gesamtnationalen Dialog aufzunehmen, eine grossangelegte Militäroperation begann, wobei es die eigenen Bürger, die mit dem verfassungswidrigen Machtwechsel und den ultranationalen Exzessen nicht einverstanden waren, zu «Terroristen» stempelte.
Wir können uns nur sehr schwer erklären, warum sich die universellen Prinzipien der Regelung von inneren Konflikten, die vor allem einen inklusiven politischen Dialog zwischen den Protagonisten vorsehen, im Bewusstsein vieler unserer Kollegen nicht auf die Ukraine erstrecken. Warum unsere Partner zum Beispiel hinsichtlich Afghanistan, Libyen, Irak, Jemen, Mali und Südsudan die Regierungen hartnäckig dazu aufrufen, sich mit der Opposition, mit Aufständischen und in manchen Fällen auch mit Extremisten zu einigen – und bezüglich der Krise in der Ukraine anders auftreten, indem sie bei der Gewaltoperation Kiews Nachsicht zeigen, bis hin zur Rechtfertigung der Anwendung von Kassettenbomben.
Leider sind unsere westlichen Kollegen geneigt, vor allem die Augen zu verschliessen, was die Kiewer Behörden sagen und machen, das Entfachen von fremdenfeindlichen Stimmungen eingeschlossen. Ich erlaube mir ein Zitat: «Der ukrainische Sozialnationalismus sieht die ukrainische Nation als Blut- und Rassegemeinschaft.» Und weiter: «Die Frage der totalen Ukrainisierung im künftigen sozialnationalistischen Staat wird im Laufe von drei bis sechs Monaten mit Hilfe einer harten und ausgewogenen Staatspolitik gelöst werden.» Autor ist der Abgeordnete der Obersten Rada Andrej Bilezki – Befehlshaber des Regiments «Asow», das aktiv an den Kampfhandlungen im Donbass teilnimmt. Auch andere in die Politik und an die Macht gestürmten Leute wie D. Jarosch, O. Tjagnibok und O. Ljaschko, der Leiter der in der Obersten Rada vertretenen Radikalen Partei, traten in der Öffentlichkeit wiederholt für eine ethnische Säuberung der Ukraine und die Vernichtung von Russen und Juden ein. Diese Äusserungen haben in den westlichen Hauptstädten überhaupt keine Reaktion hervorgerufen. Ich denke nicht, dass das heutige Europa sich erlauben kann, die Gefahr der Verbreitung des neonazistischen Virus zu ignorieren.
Die ukrainische Krise kann nicht mit militärischer Gewalt geregelt werden. Das wurde im letzten Sommer deutlich, als die Situation auf dem Kriegsschauplatz dazu zwang, die Minsker Vereinbarungen zu unterzeichnen. Das zeigt sich auch jetzt, wo der nächste Versuch, einen militärischen Sieg zu erringen, zum Erliegen kommt. Aber ungeachtet dessen ertönen in einer Reihe westlicher Länder immer lauter Appelle, die Unterstützung für den Kurs Kiews hin zur Militarisierung der Gesellschaft und des Staates zu verstärken, die Ukraine mit todbringenden Waffen «vollzupumpen» und in die Nato zu ziehen. Hoffnung macht die immer stärker werdende Opposition gegen diese Pläne in Europa, die die Tragödie des ukrainischen Volkes nur noch verschlimmern können.
Russland wird auch in Zukunft für eine Friedensregelung einstehen. Wir treten konsequent für die Einstellung der Kampfhandlungen, den Abzug schwerer Waffen und die Aufnahme von direkten Verhandlungen zwischen Kiew und Donezk und Lugansk ein, um konkrete Wege zur Wiederherstellung des gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Raumes im Rahmen der territorialen Integrität der Ukraine zu finden. Genau darum ging es bei den vielfältigen Initiativen von Wladimir Putin im Rahmen des «Normandie-Formats», die es erlaubten, den Minsker Prozess und unsere weiteren Anstrengungen zu seiner Entwicklung, einschliesslich der gestrigen Verhandlungen der Staatschefs von Russland, Deutschland und Frankreich im Kreml, in die Wege zu leiten. Wie Sie wissen, werden diese Verhandlungen fortgesetzt. Wir sind der Meinung, dass es alle Möglichkeiten gibt, Ergebnisse zu erzielen und Empfehlungen abzustimmen, die es den Seiten erlauben werden, diesen Konfliktknoten zu lösen.
Es ist wichtig, dass alle die Ausmasse der Risiken erkannt haben. Es ist an der Zeit, von der Gewohnheit zu lassen, jedes Problem einzeln zu betrachten, «ohne hinter den Bäumen den Wald zu sehen». Es ist Zeit, die Lage komplex einzuschätzen. Die Welt befindet sich heute an einem radikalen Wendepunkt, der mit dem Wechsel der historischen Epochen zusammenhängt. Die «Geburtswehen» der neuen Weltordnung machen sich durch das Anwachsen von Konfliktsituationen in den internationalen Beziehungen bemerkbar. Wenn statt einer strategischen globalen Sichtweise Gelegenheitsentscheidungen von Politikern im Hinblick auf die nächsten Wahlen bei ihnen zu Hause triumphieren sollten, wird die Gefahr auftauchen, die Kontrolle über die Hebel der globalen Lenkung zu verlieren.
Ich erinnere daran, dass zu Beginn des Konflikts in Syrien viele im Westen dazu aufriefen, die Bedrohung durch Extremismus und Terrorismus nicht zu übertreiben, wobei sie behaupteten, die würde sich irgendwie «selbst geben», das Wichtigste sei aber, den Machtwechsel in Damaskus zu erreichen. Wir sehen, was sich daraus ergeben hat. Riesige Gebiete im Nahen Osten, in Afrika und in der afghanisch-pakistanischen Zone entziehen sich immer mehr der Kontrolle durch die legitimen Regierungen. Der Extremismus schwappt in andere Regionen über, Europa eingeschlossen. Die Risiken der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nehmen zu. Die Situation bei der Nahost-Regelung und in anderen Zonen regionaler Konflikte nimmt einen explosiven Charakter an. Bisher wurde keine adäquate Strategie zur Eindämmung dieser Herausforderungen entwickelt.
Ich möchte hoffen, dass die Diskussionen heute und morgen in München uns im Verstehen dessen näherbringt, auf welchem Niveau sich die Anstrengungen bei der Suche nach kollektiven Antworten auf die für alle gemeinsamen Bedrohungen befinden. Wenn man ein ernsthaftes Ergebnis will, darf das Gespräch nur gleichberechtigt geführt werden – ohne Ultimaten und Drohungen.
Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass es viel einfacher wäre, den ganzen Komplex an Problemen anzugehen, wenn sich die grössten Akteure auf die strategischen Richtlinien ihrer Beziehungen einigen könnten. Unlängst sagte die ständige Sekretärin der Französischen Akademie, Hélène Carrère d’Encausse, die ich sehr verehre, dass «es kein richtiges Europa ohne Russland geben kann». Wir würden gern verstehen, ob unsere Partner diese Sichtweise teilen oder ob sie geneigt sind, den Kurs auf die Vertiefung der Spaltung des allgemein-europäischen Raumes und die gegenseitige Konfrontation seiner Fragmente fortzusetzen. Wollen sie eine Sicherheitsarchitektur zusammen mit Russland, ohne Russland oder gegen Russland schaffen? Natürlich müssen auch unsere amerikanischen Partner diese Frage beantworten.
Wir schlagen schon lange vor, mit dem Bau eines wirtschaftlichen und humanitären Einheitsraumes von Lissabon bis Wladiwostok zu beginnen, der sich auf die Prinzipien einer paritätischen und unteilbaren Sicherheit stützen würde und sowohl die Mitglieder von Integrations-Bündnissen als auch nichtgebundene Länder umfassen würde. Besonders aktuell ist die Schaffung von verlässlichen Mechanismen bei der Zusammenarbeit zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der EU. Wir begrüssen die sich andeutende Unterstützung dieser Idee durch verantwortungsbewusste europäische Staatsführer.
Im 40. Jubiläumsjahr der Helsinki-Abschlussakte und dem 25. Jahrestag der Charta von Paris tritt Russland dafür ein, diese Dokumente mit realem Leben zu füllen, die dort verankerten Prinzipien zu wahren und die Stabilität und Prosperität im gesamten euro-atlantischen Raum auf der Basis von echter Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung und Berücksichtigung der Interessen aller zu gewährleisten. Wir wünschen der im Rahmen der OSZE gebildeten «Gruppe der Weisen», die in Form von Empfehlungen zu einem Konsens kommen soll, viel Erfolg.
Wenn wir den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begehen, sollten wir uns der Verantwortung bewusst sein, die auf uns allen liegt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Frage: Ich verstehe alle von Ihnen erwähnten Probleme in den Beziehungen mit den USA: Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, Raketenabwehr. Neben der Tatsache, dass Russland laut dem START-Vertrag Drohnen mit Flügelraketen gleichsetzt, möchte ich noch darauf hinweisen, dass US-Präsident Barack Obama die europäische Raketenabwehr wesentlich kompakter gemacht hat. Wenn Russland Probleme mit den USA hat, warum muss denn die Ukraine dafür zahlen? Ich spreche von der Eroberung der Krim und den Versuchen zur Spaltung der Ukraine. Was haben denn die armen Ukrainer getan, dass Sie sie jetzt für die Sünden der Amerikaner bestraft werden?
Sergej Lawrow: Ich verstehe schon, dass Sie eine perverse Einsicht haben. Sie sollten nicht Äpfel mit Orangen verwechseln. Jetzt sagt man: „Wir werden die Ukraine-Krise regeln, und dann funktioniert das Sicherheits- und Stabilitätssystem von selbst.“ Im Gegenteil: Die Krise muss geregelt werden – das ist die oberste Priorität. Wir können aber nicht übersehen, dass alle nach dem Kalten Krieg getroffenen Vereinbarungen ignoriert werden. Wir wollen uns an niemandem rächen geschweige denn auf Kosten Dritter. Wir wollen normale Beziehungen mit den USA unterhalten. Wir waren nicht diejenigen, die die zuvor entfalteten Mechanismen zerstört haben, die in den letzten Jahren geschaffen worden waren und dank deren unsere täglichen Kontakte und die Beseitigung von beiderseitigen Besorgnissen möglich waren. Wir waren nicht diejenigen, die aus dem Raketenabwehr-Vertrag ausgetreten sind. Wir weigerten uns nicht, den angepassten Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa zu ratifizieren. Jetzt müssen wir Stück für Stück das zusammentragen, was uns noch übrig geblieben ist, und durch die Bestätigung der Prinzipien von Helsinki über ein neues Sicherheitssystem verhandeln, das allen, darunter der Ukraine, Georgien und Moldawien, passen würde – allen, die von unseren amerikanischen Kollegen vor die Wahl gestellt wurden: dem Westen zu folgen und das Zusammenwirken mit Russland abzubauen. Das ist nun einmal ein Fakt.
Ich weiß, dass US-Botschafter in der ganzen Welt solche Hinweise erhalten. Ich sehe hier Alexander Vershbow, der unlängst in einem Interview von der Nato als „dem freundlichsten Block weltweit“ und „der Hoffnung auf eine europäischen Stabilität und Sicherheit“ gesprochen hat. Wer hat denn aber Jugoslawien, Libyen mit Bomben beworfen, ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats eingeholt zu haben? Die „Erfolge“, die solche einseitigen Aktionen gebracht haben, sehen wir jetzt im Nahen Osten. Wir wollen, dass die Nato nicht als musterhafte Organisation dargestellt wird, wie man das versucht, dafür aber ein Teilnehmer eines gleichberechtigten Dialogs über die Stabilitätsförderung ist. Alle wollen, dass wir die untergeordnete Position aller anderen Länder gegenüber den USA und der Nato anerkennen. Ich denke aber nicht, dass dies den Interessen der Ordnung und Stabilität in der Welt entsprechen würde.
Was den Beginn der Ereignisse in der Ukraine angeht, so hat US-Präsident Barack Obama unlängst offen davon gesprochen, dass die USA als eine Art Broker beim Machtwechsel bzw. „Machtübergang“ in der Ukraine gewesen waren. Das ist eine bescheidene Formulierung, aber wir wissen alle sehr gut, wie das passiert ist, wer und wie die Personalien per Telefon besprach, die in der neuen ukrainischen Regierung präsent sein sollten, und vieles andere. Wir wissen, was jetzt geschieht und wer jeden Tag die Ereignisse auf dem „Maidan“ überwachte. Dort gab es keine Militärspezialisten und Experten von uns.
Wir wollen sehr, dass sich das ukrainische Volk wiedervereinigt, aber das müsste auf Basis eines realen gesamtnationalen Dialogs geschehen. Aber wenn die ukrainischen Behörden beschließen, die Geburtstage von Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch zu nationalen Feiertagen zu erklären, dann stellt sich die Frage: Wie könnte man diese Feiertage in der Ostukraine begehen?! Das ist unmöglich. Und im Westen des Landes will man nicht mehr den 9. Mai feiern. Ich will nicht einmal über andere spezifische Besonderheiten der ukrainischen Gesellschaft sprechen, aber auch für das, was ich eben gesagt habe, sind gewisse politische Vereinbarungen nötig.
Hier wird das gerne verschwiegen, aber in der Ukraine läuft derzeit eine Mobilmachung, wobei allerdings große Schwierigkeiten entstehen. Vertreter der ungarischen und rumänischen Minderheit spüren eine „positive“ Diskriminierung, denn sie werden wesentlich öfter zum Wehrdienst einberufen als ethnische Ukrainer. Wollen wir vielleicht darüber reden? Oder vielleicht darüber, dass in der Ukraine nicht nur Ukrainer und Russen leben, sondern auch Menschen anderer Nationalitäten, die durch des Schicksals Fügung in diesem Land leben und dort weiter leben wollen? Warum sind sie nicht gleichberechtigt? Warum werden ihre Interessen nicht berücksichtigt? Während der jüngsten Wahl der Obersten Rada hatte die ungarische Minderheit gebeten, die Wahllokale so zu verteilen, dass mindestens ein ethnischer Ungar in die Rada einzieht. Die Wahllokale wurden aber so verteilt, dass kein Ungar ins Parlament gewählt wurde. Das alles sind Beweise dafür, dass es in diesem Zusammenhang etwas zu besprechen gibt. Es gibt Probleme, die wirklich bestehen und den ukrainischen Staat bei der Überwindung dieser äußerst schwierigen Krise behindern. Im Westen werden sie jedoch verschwiegen. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, nachdem das ukrainische Lustrationsgesetz verabschiedet worden war. Einige von diesen Menschen sind heute hier. Unter vier Augen gaben sie gerne zu, dass dies ein furchtbares Gesetz ist, das sofort außer Kraft gesetzt werden sollte. Ich fragte, warum sie das nicht in der Öffentlichkeit sagen, und mir wurde geantwortet, dass man die ukrainische Macht unterstützen und nicht kritisieren sollte. Wenn das so ist, dann fehlen mir einfach die Worte.
Ich hoffe sehr, dass die gestrigen Bemühungen der Präsidenten Frankreichs und Russlands sowie der deutschen Kanzlerin Erfolg haben werden, den die Konfliktseiten unterstützen, so dass die Situation wirklich beruhigt werden kann und der so notwendige gesamtnationale Dialog über Wege zur Lösung von allen möglichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen beginnt.
Frage: Meine Frage bezieht sich auf die Ergebnisse der gestrigen Verhandlungen in Moskau und der vorgestrigen in Kiew: Die gute Nachricht ist, dass die Minsker Vereinbarungen nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. Die schlechte Nachricht ist, dass nicht alle Seiten, die diese Vereinbarungen unterzeichnet haben, sie erfüllen. Ich spreche von den Vertretern der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, die Offensivhandlungen führen, aus Artilleriewaffen schießen usw. Die Russische Föderation hat die Minsker Vereinbarungen auch unterzeichnet. Jetzt wird versucht, die Trennlinie zu verschieben. Es wird kein Druck auf das Volksheer ausgeübt, obwohl Russland zugegeben hat, dass es einen solchen Druck ausüben kann. Wollen Sie wirklich die Minsker Vereinbarungen umsetzen? Wie können Sie als Außenminister der Russischen Föderation garantieren, dass alle zwölf Punkte der Minsker Vereinbarungen erfüllt werden und dass der Druck auf die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgeübt wird?
Sergej Lawrow: Sobald die wichtigsten Teilnehmer des Minsker Prozesses, nämlich die ukrainischen Behörden und die Vertreter der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk sich über alle praktischen Aspekte der Umsetzung jedes der Minsker Punkte geeinigt haben, wird Russland – davon bin ich überzeugt – eine der Seiten sein, die solche Garantien abgeben können, egal ob in der OSZE oder im UN-Sicherheitsrat. Ich bin überzeugt, dass auch Deutschland, Frankreich und andere Länder bereit wären, solche Garantien abzugeben. Es kann allerdings nur das garantiert werden, was bereits getan und erreicht worden ist. Es muss direkt verhandelt werden. Man sollte aber verstehen, dass diese Menschen alles akzeptieren werden, was ihnen aufgezwungen wird. Sie leben auf ihrem Boden und kämpfen dafür. Wenn jemand behauptet, sie könnten nicht aus eigener Kraft auf dem Schlachtfeld siegen, dann sage ich: Das ist eine gerechte Sache für diese Menschen. Dabei verstehen ukrainische Soldaten überhaupt nicht, warum sie an diesem Krieg teilnehmen sollten. Ich sage nochmals: Verhandelt werden muss direkt.
Die US-Administration wurde einst dafür kritisiert, dass sie intensive Kontakte mit den Taliban unter Vermittlung Dohas (Katar) unterhielt. Vertreter der Administration fragten, warum man sie eigentlich kritisiert: „Ja, sie sind Feinde, aber mit Freunden verhandelt man nicht. Man verhandelt mit Feinden.“ Falls die ukrainischen Behörden ihre eigenen Mitbürger für Feinde halten, dann müssen sie sowieso mit ihnen verhandeln. Unsere ukrainischen Kollegen sollten nicht darauf hoffen, dass die rücksichtslose Unterstützung, die sie von außerhalb genießen, alle ihre Probleme lösen wird. Eine solche Unterstützung, der keine kritischen Analysen der Situation zugrunde liegen, verdreht einigen Personen den Kopf. So erging es Michail Saakaschwili im Jahr 2008. Alle wissen ja, was daraus geworden ist.
Frage: Ich bin Mitglied der Organisation „Europäisches Leader-Netzwerk“, der Vertreter Russlands, der USA und europäischer Länder angehören. Vor kurzem haben wir eine Studie über Luftraumverletzungen verfasst. Nehmen wir einmal an, dass unsere wichtigste Priorität der Abbau der Spannungen im Osten der Ukraine und das Voranbringen eines Waffenstillstandsabkommens ist. Denken Sie nicht, dass die nächste Priorität ein Versuch sein sollte, eine Vereinbarung zu treffen oder wenigstens zu verhindern, dass das gegenseitige Vertrauen endgültig verlorengeht, und ein Schema zu konzipieren, das Russland, der Nato, Europa und den USA gestatten würde, unnötige potenziell gefährliche militärische Berührungen zu vermeiden? In dieser Situation brauchen wir so etwas nicht. Warum befasst man sich nicht mit einem solchen Schema, das uns die Sicherheit geben würde, dass unsere Flugzeuge, Kriegsschiffe und Objekte sich nicht mehr so nahe kommen, wie das in den letzten ein paar Wochen der Fall war?
Vor wenigen Wochen hob im Flughafen Kopenhagen ein Flugzeug ab, das nach Warschau unterwegs war. Es wäre beinahe mit einem russischen Militärflugzeug kollidiert, das sich im internationalen Luftraum mit ausgeschalteten Transpondern aufhielt. Kein einziges Nato-Land hätte so etwas gegenüber Russland gemacht. Warum fliegen russische Kampfflugzeuge durch den europäischen Luftraum mit ausgeschalteten Transpondern, so dass sie so gut wie unsichtbar sind? Das ist, als würde ein großer schwarzer Lastwagen nachts ohne Lichter durch die Stadt fahren. Warum passiert so etwas? Wann werden diese Handlungen eingestellt?
Sergej Lawrow: Wir hatten ein umfassendes Netz von bilateralen Mechanismen zwischen Russland und der Nato im Russland-Nato-Rat, wo unsere Militärs jeden Tag kontaktierten. Es gab gesonderte Expertentreffen und viele gemeinsame Projekte, unter anderem zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Entwicklung des Sprengstoffdetektors STANDEX.
Es gab auch ein Projekt zur Personalausbildung für den afghanischen Sicherheitsdienst, zur Versorgung dieses Dienstes mit Hubschraubern. Es gab auch die Common airspace initiative – die Gemeinsame Initiative zur Sicherheitsförderung im Luftraum. Jetzt wurden sie alle auf Eis gelegt, obwohl wir im Rahmen dieser Mechanismen uns darüber hätten durchaus einigen können, wie wir gefährliche militärische Aktivitäten vermeiden könnten.
Was konkret das Thema Aktivitäten der Luftstreitkräfte angeht, so verfügen wir über entsprechende Statistiken, denen zufolge die Nato viel, viel intensiver vorgeht als Russland. Ich denke, Ende Januar hat sich unser Ständiger Vertreter bei der Nato, Alexander Gruschko, mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg getroffen und ihm in diesem Zusammenhang einen „fact-sheet“ mit unseren Statistiken überreicht. Wir sind offen, wenn es um die Wiederbelebung der Kooperationsmechanismen geht, aber derzeit liegen sie alle auf Eis. Es ist nur der Rat der Ständigen Vertreter übrig geblieben, aber seine Treffen finden nicht besonders häufig statt. Alles andere bleibt geschlossen.
Jetzt entstehen sogar neue Probleme. Unsere Nato-Kollegen scheinen die faktische Anwesenheit der russischen Diplomaten in der russischen Vertretung bei der Nato reduzieren zu wollen. Unser Zugang zum Hauptquartier, wo wir unseren eigenen Raum haben, kann begrenzt werden. Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass ständig neue „dunkle Flecken“ in unseren Beziehungen entstehen, und alles andere als hilfreich bei der Klärung unserer gegenseitigen Absichten sein.
Frage: Sie haben gesagt, dass Sie die gemeinsamen Prinzipien der europäischen Sicherheit bestimmen wollen. Ich fürchte aber, dass die EU-Prinzipien sich auf Selbstbestimmung stützen und den russischen Prinzipien nicht entsprechen. Sie glauben an Einflussräume. James Cannon hat vor ungefähr 60 Jahren gesagt, dass viele Nachbarn Russlands sich entscheiden müssen, ob sie seine Feinde oder Satelliten sind. Welche gemeinsamen Regeln sind denn möglich, wenn man diese Inkompatibilität unserer Werte bedenkt? Vor fünf Jahren hat Dmitri Medwedew die Konzeption einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur formuliert. Das hat aber nicht funktioniert, denn Russland beeinflusst stark seine Nachbarn. Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Situation? Ist ein Kompromiss zwischen den russischen und europäischen Herangehensweisen zur Sicherheitsförderung in Europa möglich?
Sergej Lawrow: Sie scheinen nicht besonders aufmerksam zugehört zu haben. Es handelte sich nicht um die Entwicklung von neuen Prinzipien. Ich sagte, dass die in der Schlussakte von Helsinki, in der Pariser Charta, in den Dokumenten des Russland-Nato-Rats verankerten Prinzipien neu bestätigt werden müssten, aber diesmal fair. Und noch wichtiger ist, dass sie juristisch verpflichtend sind.
In dem von Ihnen erwähnten Vertrag über die europäische Sicherheit wurde nichts Neues vorgeschlagen. Dort wurde lediglich vorgeschlagen, das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit, das im Rahmen der OSZE und des Russland-Nato-Rats ausgerufen wurde, in einer juristisch verpflichtenden Form zu verankern. Unsere Nato-Kollegen sagten aber, dass juristische Garantien der Sicherheit der Nato vorbehalten werden sollten, damit alle sich dieser Organisation anschließen wollen und damit diese Sichtweise immer größer und tiefer wird. Warum sollte man aber darauf verzichten, dass die Sicherheit gleich ist? Das wurde verkündet, und das ist die Verpflichtung, die die Präsidenten und Ministerpräsidenten der euroatlantischen und der OSZE-Länder übernommen haben. Damit will die Nato offenbar, dass die Sicherheit ungleich ist, dass jemand „gleicher ist als die anderen“, wie George Orwell schrieb.
Sie haben eben James Cannon zitiert. Ich kann eine andere Aussage von ihm zitieren: Der Kalte Krieg war ein kolossaler Fehler, den der Westen begangen hat.
Wir sollten nichts Neues erfinden. Wir müssen uns nur treffen und die erwähnten Prinzipien bestätigen und dann das erfüllen, was wir vor ein paar Jahrzehnten vereinbart haben.
Frage: Ich stimme Ihnen zu, dass in den letzten 25 Jahren nicht alles perfekt war. Wir hatten viele Widersprüche mit Russland. Wir standen kurz davor, das Partnerschaftsabkommen zu unterzeichnen, das auf die Modernisierung der russischen Wirtschaft gerichtet ist – das ist nur ein Beispiel. Ich denke, dass wir ein Schema in Europa geschaffen haben, das die territoriale Integrität und die Souveränität der Staaten sichert. Diese beiden Prinzipien wurden verletzt und wir müssen zugeben, dass Russland jetzt eine der Konfliktseiten in der Ukraine ist. Wir können diese Krise nur dann überwinden, wenn wir die innenpolitische Situation in diesem Lande richtig analysieren. Ihre Beschreibung der Situation in der Ukraine ist inakzeptabel.
Es gab eine Vereinbarung mit Viktor Janukowitsch, die von der Mehrheit des Parlaments gebilligt wurde. Es gab Wahlen, bei denen 80 Prozent für den europäischen Kurs des Landes gestimmt. Nationalisten, Kommunisten und Faschisten kamen auf zwei bis drei Prozent der Stimmen. So sieht eine reale Situation aus, von der man ausgehen soll. Im 21. Jahrhundert soll es keine Anhaltspunkte zur Verletzung der Prinzipien der Souveränität und der territorialen Integrität geben, die in Helsinki festgelegt wurden. Das Prinzip der Souveränität besteht darin, dass jedes Volk, darunter die Ukraine, das Recht darauf hat, selbstständig zu bestimmen, mit welchem Land Handelsabkommen geschlossen werden. Falls ein Nachbarstaat versucht, diese Wahl zu kontrollieren, handelt es sich um eine Rückkehr zur früheren Politik und eine Verletzung des Souveränitätsprinzips, was in der letzten Zeit in der Ukraine zu erkennen ist.
Sergej Lawrow: Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Rede ein guter Sujet im Fernsehen sein würde.
Es gibt internationale Regeln, die tatsächlich manchmal unterschiedlich gedeutet werden, verschiedene Handlungen werden entgegensetzt interpretiert. Auf der Krim geschah das, was шь UN-Statut festgeschrieben ist – Selbstbestimmung. In diesem Dokument sind einige Prinzipien festgeschrieben, wobei das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung im Vordergrund steht. Lesen Sie das Statut! Die territoriale Integrität, die Souveränität müssen respektiert werden. Die UN-Vollversammlung verabschiedete eine Deklaration, in der das Verhältnis zwischen den grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts erklärt wurde. Darin wurde bestätigt, dass die Souveränität und die territoriale Integrität unantastbar sind, und die Länder, die beanspruchen, dass ihre Souveränität respektiert wird, das Recht der in diesen Ländern lebenden Nationen respektieren sollen und die Verhinderung des Rechts auf Selbstbestimmung durch harte Gewalt nicht zulassen dürfen.
Ihnen zufolge wurde in Kiew lediglich das Abkommen umgesetzt, das von Viktor Janukowitsch unterzeichnet wurde, weil es dort die Wahl gab. Erstens, am nächsten Tag nach der Unterzeichnung dieses Abkommens, unabhängig vom Aufenthaltsort von Viktor Janukowitsch (er befand sich in der Ukraine), wurde seine Residenz, das Verwaltungsgebäude des Präsidenten, das Regierungsgebäude angegriffen, zudem wurden mehrere Gebäude und Menschen auf dem Maidan in der Anfangsperiode verbrannt. Doch das auf diese Weise zertretene Abkommen, das von den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens beglaubigt wurde (übrigens befindet sich Radoslaw Sikorski jetzt hier im Saal, der vielleicht seine Geschichte schildern kann), sah in seinem ersten Punkt die Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit vor. Das sind die Schlüsselworte. Das Ziel der nationalen Einheit kann nicht allein vom Schicksal Viktor Janukowitschs abhängen. Sollte er verschwinden, könnte man die Macht also auf bewaffnete Weise ergreifen und die nationale Einheit ignorieren? Doch Sie werden dieser Logik nicht zustimmen und das wir richtig liegen, weil es unzulässig ist. Dazu ist es gekommen statt der Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit, die zum September eine neue Verfassung hätte vorbereiten sollen, auf deren Grundlage allgemeine Wahlen hätten stattfinden sollen. So sieht die Reihenfolge aus. Doch der Ausgangspunkt ist die Nationale Einheit. Darauf sollte sich die Verfassung unter Berücksichtigung der Positionen im ganzen Land stützen.
Stattdessen, als das oben erwähnte Abkommen in Vergessenheit geriet, ging Arseni Jazenjuk auf den Maidan-Platz und kündigte die Schaffung einer „Regierung der Sieger“ an. Danach wurden die Gebiete der Ukraine, die darüber empört waren, zu Aktionen griffen und die Ergebnisse des Staatsstreichs nicht akzeptieren wollten, einfach unterdrückt. Zunächst wurden die Anführer festgenommen, die gegen den Staatsstreich waren, danach wurde zur Gewalt gegriffen. Wer hat wen angegriffen? Waren es Donezk und Lugansk, die Kiew stürmten? Keineswegs. In den Südosten wurde eine Truppengruppierung geschickt, mit der versucht wurde, die Macht gewaltsam zu übernehmen.
Die damaligen Ereignisse in der Ukraine wurden auf der Krim beobachtet. In der früheren Etappe der Krise gab es einen Versuch des Rechten Sektors, sich durchzuschlagen und die Verwaltungsgebäude zu ergreifen. Gott sei Dank gibt es dort eine Landeenge, die Abteilungen der Volkswehr standen da und ließen sie nicht rein. Auf der Krim gab es ein Unabhängigkeitsreferendum, danach wurde sie an Russland angegliedert. In Kosovo gab es gar kein Referendum, obwohl US-Präsident Barack Obama vor kurzem mitteilte, dass der Kosovo ein Vorbild sei, weil die Menschen dort bei einem Referendum abgestimmt hätten. Dort gab es kein Referendum. Die Wiedervereinigung Deutschlands vollzog sich ohne Referendum, und wir haben das aktiv unterstützt.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wenn Sie sich daran erinnern, trat die Sowjetunion gegen die Teilung Deutschlands ein. Wenn man über Methoden spricht, die statt eines direkten Dialogs genutzt werden, besteht das Problem darin, dass der jetzige Präsident der Ukraine nicht mehr das Monopol auf die Gewaltanwendung hat. In der Ukraine wurden private Bataillone geschaffen, die besser als die reguläre Armee bezahlt werden. Zu diesen Bataillonen (darunter „Asow“, das ich bereits nannte) wechseln Menschen aus der regulären Armee.
Unter deren Führungskräfte gibt es offensichtlich Ultranationalisten. Wir unterhalten uns mit Ihnen seit langem, Herr Brock. Sie kamen sogar nach Moskau. Deswegen ist meine Antwort sehr einfach. Wenn Sie wollen, empörende Reden zu halten, die Ihre Position in der Politik, im EU-Parlament stärken, ist das eine Sache, wenn Sie jedoch mit uns sprechen wollen, setzen wir uns hin und gehen alle Helsinki-Prinzipien noch einmal durch und sehen, warum Sie bei einigen Fällen nicht denken, dass sie verletzt wurden, und bei anderen Fällen denken, dass sie verletzt wurden.
Übrigens, die in Nürnberg ansässige ukrainische Ratingagentur GFK Ukraine hat vor kurzem eine Umfrage auf der Krim durchgeführt. 90 Prozent sagten, dass sie die Angliederung der Krim an Russland unterstützen. Dagegen sind nur zwei Prozent. Weitere drei Prozent sagten, dass sie noch nicht ganz verstehen, was vor sich geht. Das sind statistische Angaben, das sind Menschen. Ein Kollege sagte, dass das Hauptprinzip in der EU der Respekt gegenüber die Selbstbestimmung sei. Sie sprachen jedoch nur über die Länder und in diesem Fall kam es zur Selbstbestimmung eines Volkes, und das geschah auf Grundlage einer jahrhundertelangen Geschichte. Wir können das alles besprechen, wenn Sie tatsächlich unsere Position und das, woran wir uns orientieren, verstehen wollen. Der Präsident Russlands, Wladimir Putin, hat mehrmals darüber gesprochen. Man kann natürlich darüber lachen. Dann wird das jemandem einfach Spaß machen. Lachen, wie man sagt, verlängert auch das Leben!
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