Mit großer Heuchelei behaupten die europäischen Regierungen, der Europäischen Kommission ein Mandat gegeben zu haben, um die transatlantische Partnerschaft mit Washington unter Einhaltung der europäischen Vorschriften zu verhandeln. In Wirklichkeit hat aber wie im Präzedenzfall von Swift, über Daten von Fluggästen und der Bekämpfung des Steuerbetrugs, die Kommission den Auftrag, die Europäischen Gesetze in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten aufzuheben. Daher bedeutet das, dass in dieser Aushandlung jene Bereiche identifiziert werden, in denen die Europäer nicht mehr durch ihre eigenen Staaten geschützt sein werden.
Am 23. April 2014 wurde von Belgien und den USA ein Abkommen abgeschlossen, das in Belgien einem US-Gesetz gegen Steuerbetrug- das Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) Geltung verleihen wird. Mehrere Staaten, darunter das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland und Japan haben schon ein solches Abkommen unterzeichnet, das dem US-Gesetz auf jeweils nationalem Boden Geltung verleiht. Ab dem ersten Januar 2015 müssen die Finanzinstitute die US-amerikanischen Behörden über die auf den Konten US-amerikanischer BürgerInnen vorgenommenen Geldbewegungen informieren. Sobald deren Betrag die 50 000 Dollar übertrifft oder eine gewisse Zahl Bewegungen mit dem US-amerikanischen Territorium vorgenommen werden, muss die Bank einen genauen Bericht der Geldein- und -ausgängeerstellen. Entzieht sich eine Bank diesem Verfahren, werden all ihre Tätigkeiten auf US-amerikanischen Boden um 30% überbesteuert und die Bank kann bis einschließlich mit dem Entzug der Banklizenz in den USA bestraft werden.
Nun verletzen diese Verträge zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der US-Regierung die jeweiligen nationalen Datenschutzgesetze sowie die ins Recht aller Mitgliedsstaaten aufgenommene Richtlinie Nr 95/46/CE des Europaparlaments und des Europarats vom 24. Oktober 1995 «zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr». Die Umsetzung des FATCA auf dem Alten Kontinent verletzt das nationale Recht der europäischen Staaten sowie das EU-Recht. Diese Gesetzgebungen sind nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt. Sie müssen bei den Beziehungen mit den USA einfach außer Acht gelassen werden.
Bei vorherigen Abkommen, welche die Datenerfassung durch US-amerikanischen Staatsbehörden legalisierten, wurde dasselbe Verfahren angewendet. Seit den Attentaten vom 11. September hatte die US-amerikanische Gesellschaft belgischen Rechts Swift Zehntausende Millionen Daten mit Bezug auf die Finanz- Operationen ihrer KundInnen an das US- Finanzministerium heimlich weitergeleitet. Obwohl dabei das europäische und belgische Recht grob verletzt worden waren, ist diese Erfassung nie in Frage gestellt worden. Ganz im Gegenteil haben die EU und die USA mehrere Verträge unterzeichnet, um sie zu legitimieren [1].
Da Swift ihren Sitz in La Hulpe hatte, ist die Firma dem belgischen und dem EU-Recht unterstellt, aber auch dem US-amerikanischen Recht, weil ihr zweiter Server in den USA untergebracht ist. Somit hat sie entschieden, das europäische Recht zu verletzen, um sich den Forderungen der US-amerikanischen Exekutive zu unterwerfen. Seit Ende 2009 werden aber Swifts innereuropäische Daten nicht mehr in die USA, sondern auf einen zweiten europäischen Server weitergeleitet. Zwar haben nun die US-Amerikaner keinen direkten Zugang mehr zu den Daten, letztere werden aber auf Anfrage als „Pakete“ weitergeleitet, und die US-Amerikaner beherrschen als Einzige den Datenbehandlungsvorgang. Außerdem haben die US-Amerikaner gleich nach Unterzeichnung der Abkommen neue Forderungen gestellt. Die US-Regierung hatte 2009 schon erklärt, dass „Transaktionen zwischen europäischen und US-amerikanischen Banken auch ohne erwiesene Notwendigkeit erfasst werden sollten.“
Ebenfalls hat sich die EU der Mitteilung der PNR-Daten [Passenger Name Record=Fluggastdatensatz] durch die Fluggesellschaften mit Sitz auf ihrem Boden nie widersetzt. Mitgeteilt wurden der Name, Vorname und Adresse, Rufnummer, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Passnummer, Geschlecht, aber auch die Adressen während des US-Aufenthalts, im Land aufgenommene Kontakte, Wegbeschreibungen sowie medizinische Daten. Auch Bankdaten wie Zahlungsweise und Kreditkartennummer, und auch Ernährungsverhalten, was Informationen über die religiöse Praxis vermittelt, gehören dazu. Die einseitige US-amerikanische Initiative, sich dieser Daten zu bemächtigen, wurde von der europäischen Seite als selbstverständlichhingenommen, obwohl sie ihre Gesetzgebungen aussetzen musste, um den US-amerikanischen Forderungen gerecht werden zu können [2].
In beiden Fällen - Luftpassagiere und Swift-Sache - wird die gleiche Technik angewandt. Es handelt sich de facto nicht um ein juristisches Abkommen zwischen zwei Seiten, zwischen zwei souveränen Mächten. Da gibt’s nur eine Seite, die US-Regierung, die sich faktisch direkt an die europäischen BürgerInnen wendet. In beiden Texten pocht die US-amerikanische Exekutivmacht auf ihr Recht, über deren persönliche Daten zu verfügen und somit übt sie ihre souveräne Macht direkt auf die EU-BürgerInnen aus.
Ebenfalls steht bei den Verhandlungen zur Umsetzung eines großen transatlantischen Marktes, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership) die Vormachtstellung des US-amerikanischen Rechts auf europäischem Boden auf dem Spiel.
Über das TTIP dürfen dann die USA im Namen des freien Wettbewerbs Klage erheben gegen einen Staat, der ihnen keine Genehmigung zur Gewinnung des Schiefergases erteilen will oder Lebensmittelnormen bzw. Sozialstandards vorschreiben will. Mit Hilfe eines solchen Streitbeilegungssystems könnten die US-Amerikaner ganze Teile der europäischen Regulierungsmaßnahmen abbauen, indem sie vor diesen privaten US-amerikanischen Gerichten rechtliche Präzedenzfälle ins Leben rufen. Nämlich wurde die Möglichkeit eines solchen Mechanismus gegeben, als die Europäer jene im Verhandlungsmandat eingeschlossen haben, das im Juni 2013 von den EU-Handelsministern der Europäischen Kommission erteilt wurde. Solche Streitfälle werden vorzugsweise vom Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), einer von der Weltbank abhängigen Stelle mit Sitz in Washington geregelt; die Richter - Geschäftsanwälte oder Rechtsprofessoren - werden je nach Fall ernannt, einer wird vom klagenden Unternehmen, der zweite vom Bundesstaat Washington, der dritte von der Generalsekretärin des ICSID gewählt [3].
Wird dieses schon zum Teil hingenommene Verfahren im Rahmen des künftigen Großen transatlantischen Marktes eingeführt, wird das europäische Recht schon wieder klein beigeben, hier vor einer privaten Rechtsstelle in den USA, in welcher die US-amerikanische Seite eine entscheidende Rolle spielen wird.
[1] Jean-Claude Paye, « Les transactions financières internationales sous contrôle américain », (Finanztransaktionen unter US-amerikanischer Kontrolle) Réseau Voltaire, 28 April 2008.
[2] Jean-Claude Paye, « L’espace aérien sous contrôle impérial » (Der Luftraum ist unter Kontrolle des Empire geraten), Réseau Voltaire, 13 Oktober 2007.
[3] International Centre for Settlement of Investissement Disputes (ICSID), Kapitel Streitbeilegung, Artikel 37.
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