François Hollande hatte es angekündigt: " Le changement, c’est maintenant! [Die Wende ist für jetzt!"]. Zwei Monate nach seiner Wahl machte er Schluss mit dem Stil seines Vorgängers, aber bemüht sich dessen Politik identisch weiter zu verfolgen. Für Thierry Meyssan ist dieser Verzicht das Ergebnis einer Ideologie, die sich in den Reden des neuen Präsidenten widerspiegelt, und zwar der Zusammenarbeit mit dem Imperium unserer Epoche.
Ist es sehr schwierig, die persönlichen Überzeugungen von François Hollande zu durchschauen, so sehr hat sich der Mensch bemüht, Zweideutigkeiten zu unterhalten, um tüchtig abzusahnen und sich eine Mehrheit zu schmieden. Der neue Präsident deckte allerdings bei zwei Gelegenheiten seine tieferen Gedanken auf. Er fügte anlässlich seiner Amtseinführungs-zeremonie eine Huldigung an Jules Ferry bei und er überraschte, als er während des Gedenkens der Razzia des „Vel d’Hiv“ [Judenverhaftung in Paris 16-17 Juli 1942] das historische Ereignis neu interpretierte.
Kommen wir auf diese beiden Momente zurück.
Am 15. Mai 2012 beschloss François Hollande den Gründer der freien und obligatorischen Volksschule zu ehren, und im selben Atemzug das Engagement von Jules Ferry für die Kolonialisierung als „moralischen und politischen Fehler“ zu bezeichnen. Die Initiative des neuen Präsidenten, die Bedeutung der Schule hervorzuheben, hätte sich an historische Persönlichkeiten halten können, deren Bilanz er nicht hätte kritisieren müssen. Dass er eher die Schirmherrschaft von Ferry anstelle einer anderen wählte, kommt daher, dass dieser das Ziel der Schule änderte. Aus einem Instrument der Emanzipation, machte er ein Instrument der Integration. Die Schule zielte nicht mehr darauf ab, das Kind von seinen Vorurteilen zu befreien, indem sie seinen kritischen Geist entwickelte und ihm Zugang zum Wissen verschaffte, um aus ihm einen Bürger zu machen. Sie oktroyierte sich als erste Funktion, das Kind seiner Familie, dem Einfluss der Kirche und seiner regionalen Kultur zu entreißen, um aus ihm einen gehorsamen Schüler zu machen, bereit, sein Leben zu opfern, um das französische Reich zu erweitern. Die Schule ist nicht obligatorisch geworden, damit alle Kinder von ihr profitierten, sondern, wie von Michel Foucault gezeigt wurde, weil sie das Vorzimmer der Kaserne war. Darüber hinaus die autoritäre Logik, die die "schwarzen Husaren" von Ferry dazu führte, den Kindern auf die Finger zu schlagen wenn sie ihre lokale Muttersprache statt der französischen Sprache benützten, berechtigte sie auch mithilfe von Gewalt die Eingeborenen von Tonkin [Indochina] zu „zivilisieren". Man kann die pseudo-religiöse Neutralität von Ferry nicht von seinem kolonialen Militarismus historisch oder philosophisch trennen.
In seiner Zeit hatte der radikale Georges Clemenceau das Projekt des sozialistischen Jules Ferry beanstandet. Seine Kritik traf zuerst die angebliche " zivilisierende Mission" Frankreichs, Vorläufer der aktuellen "Pflicht der humanitären Intervention". Nicht, dass er das relativ hohe Entwicklungsniveau Europas verneinte, sondern weil er das Konzept der "überlegenen Rassen" verspottete; genauso wie heute das Problem nicht ist zu wissen, ob Frankreich eine weniger gewaltsame inländische Führung hat als Syrien, sondern die Souveränität der Syrer anzuerkennen oder nicht. Darüber hinaus glaubte Clemenceau, dass das koloniale Projekt ein militärisches Abenteuer der Hohen-Bourgeoisie war, das vom eigentlichen Motiv ablenkte: die Befreiung des vom Deutschen Reich besetzten und annektierten Elsass-Lothringen. Ferry beschuldigte die Radikalen „von der Betrachtung dieser Wunde absorbiert zu sein“ (dem Verlust von Elsass -Mosel), in einem solchen Masse, dass sie ihre Pflichten in dem Rest der Welt vergaßen. Clemenceau antwortete ihm, "mein Patriotismus ist in Frankreich!" und entgegnete ihm mit einem Lob des entstehenden Völkerrechts.
Verfolgen wir unsere Studie der Reden von François Hollande.
Am 22. Juli würdigte er den 70. Jahrestag der Razzia vom Vélodrome d’Hiver. Im Juli 1942 verhafteten Gendarmen und Polizisten in Paris 13 152 Juden, die in diesem Stadium zusammengefasst wurden, bevor sie deportiert, und einem tödlichen Schicksal ausgeliefert wurden.
François Hollande machte Sensation mit den Worten: "Wir brauchen die Wahrheit über die Geschehnisse vor 70 Jahren. Die Wahrheit ist, dass in Frankreich, dass von Frankreich die Straftat begangen wurde." Durch diese Erklärung nahm er Partei in einer gut bekannten Debatte, deren unversöhnliche Begriffe ich zitiere:
Entweder man denkt, dass der französische Staat von Philippe Pétain eines von verschiedenen politischen Regimen ist, und dass es zugleich gesetzlich und rechtlich die Französische Regierung war; oder man denkt, dass es nur eine juristische, für die Bedürfnisse der Besatzungsmachtsbehörde errichtete Fiktion war, und dass, - trotz eines juridischen Bastelns - es illegitim war und nicht die französische Regierung darstellte.
Um eine Fehlinterpretation zu vermeiden, ist es wichtig daran zu erinnern, dass nach der Zustimmung zu einem Waffenstillstand, dem Präsidenten des Rates, Philippe Pétain, eine Vollmacht von den Abgeordneten, die ihm nach Vichy gefolgt waren, gegeben wurde. Er löste die "Französische Republik" auf, zugunsten des "französischen Staates". Er war daher nicht "Haupt des französischen Staates" (was ein zeremonieller Rang ist), sondern "Chef des französischen Staates" (was ein Titel ist), und verhängte eine administrative Diktatur, verantwortlich für die Anwendung der unfairen Waffenstillstands-Bedingungen. Die vom ersten Weltkrieg dezimierten Franzosen empfanden in ihrer Mehrheit nicht widerstehen zu können und beugten sich dieser Tatsache. Nur eine kleine Minderheit verweigerte den Waffenstillstand, in erster Linie der Untersekretär des Krieges, Charles De Gaulle, der in London die provisorische Regierung der französischen Republik darstellte.
Die Worte haben eine Bedeutung und die Debatte ist keine akademische. Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges mussten auch die drei Hauptverbündeten (UdSSR, Großbritannien, USA) darüber entscheiden. Zuerst dachten sie, dass Philippe Pétain Frankreich repräsentierte. Auf der Konferenz von Jalta (Februar 1945) kamen sie der Niederlage ihrer Feinde (einschließlich des französischen Staates) zuvor und nahmen Sanktionen gegen sie. Bei dem Toast des Schluss-Banketts verriet Stalin, dass er alle Offiziere der besiegten französischen Armee erschießen wollte und allen französischen Wählern, deren Alter sie an dem deutsch-französischen Waffenstillstand verantwortlich machte, ihres Wahlrechts berauben wollte. Mit politischem und militärischem Geschick gelang es Charles De Gaulle dieses Projekt zu vereiteln. Er erhält schließlich von den drei wichtigen Verbündeten die Zusage, dass die provisorische Regierung des freien Frankreich als einziger Ansprechpartner Frankreichs anerkannt wird. So ist es, dass am Ende Frankreich als einer der Sieger des zweiten Weltkriegs anerkannt wurde und einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhielt.
Die Position von François Hollande hat, abgesehen davon, dass sie eine Beleidigungen für die Erinnerung derjenigen ist, die ihr Leben ließen, um unsere Heimat zu befreien, wichtige Folgen in der internationalen Politik. Da die Republik für die Verbrechen des französischen Staates für verantwortlich gehalten wird, sollten wir zum Beispiel, gleich unseren deutschen Freunden, Entschädigung an Israel zahlen, und auf unseren ständigen Sitz im Sicherheitsrat verzichten.
Man sieht auf den ersten Blick den gemeinsamen Punkt der zwei Reden von François Hollande. Als Förderer der "humanitären Einmischung" rehabilitiert er die Instrumentation der Schule von Jules Ferry, damit die Kinder nicht kritische Bürger, sondern gehorsame Schüler werden. Als Enarque [Absolvent der ENA, Schule der Nationalen Verwaltung, Herkunft der höchsten franz. Staatsbeamten] rehabilitiert er Beamte, die das Vaterland verrieten, sich in einer Marionettenregierung versammelten und der Besatzungs-Autorität gehorchten. Als Sozialist rehabilitiert er die Abgeordneten seiner Partei, die den Waffenstillstand validierten, die Vollmacht für Marschall Philippe Pétain wählten und den Sturz der Republik akzeptierten. All dies natürlich von hochtrabender Verurteilung der Folgen dieser gleichen Politik begleitet: dem Kolonialismus und dem antisemitischen Rassismus.
François Hollande ist ein kultivierter Mensch, der perfekt weiß, was er sagt. Er ist einfach dabei, seinen Beitrag zur Firma für den Abriss der französischen Nation zu leisten, in perfekter Kontinuität mit seinem Vorgänger.
Um die Anrainer-Staaten zu unterwerfen, versucht das Weltimperium die Nationen mit Gewalt zu zerstören. Um die Staaten des Zentrums zu unterwerfen handelt es mit Vorsicht, durch Verdünnung des Souveränitätsrahmens, d. h. der Nation. Um Europa Umzuformen, führt er die Ideologie ein, deren die Herrn Sarkozy und Hollande Vertreter sind, jene des Ancien Régime [Alten aristokratischen Regimes], die noch immer in den angelsächsischen Staaten herrscht und die auch die des Imperiums wurde.
Für sie ist Frankreich eine historische Gemeinschaft von Sprache und Kultur. Es hat daher eine ethnische Basis. Neuankömmlinge müssen ihre Identität ändern um sich anzupassen. Dagegen ist Frankreich für die Revolutionäre eine Schicksals-Gemeinschaft, die die Bewohner des französischen Territoriums teilen, weil sie zusammen die Tyrannei stürzten. Frankreich ist ein rechtsgültiger Vertrag, der innerhalb von gegebenen Grenzen gilt, und man wird Franzose durch seine Handlungen, die sich diesem Projekt widmen. Natürlich hat die Revolution von 1789 nicht tabula rasa mit der Vergangenheit gemacht und die Französische Republik muss ihr Vermächtnis tragen, mit seinem Ruhm und seinen Schändlichkeiten, aber sie wird nicht der Verbrechen jener schuldig, die sie verrieten.
Mit zwei Reden machte uns François Hollande klar, dass er nicht gewillt ist, unsere Souveränität zu verteidigen, sondern unsere Kinder vorzubereiten, mit den Vereinigten Staaten und ihren blutigen "humanitären" Abenteuern zusammenzuarbeiten.
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