Während die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten angefangen haben, ein Abkommen über den Nahen Osten im Allgemeinen und Syrien im Besonderen zu treffen, geht der Krieg in Syrien weiter. Dieses Paradox erklärt sich vor allem durch die Disziplinlosigkeit und den Hass der saudischen und türkischen Regierungen. Laut Thierry Meyssan, der die von Hakan Fidan gespielte Rolle analysiert, sendet das Wall Street Journal hier eine Warnung an Ankara.
Die türkische Presse hat der Studie des Wall Street Journal über Hakan Fidan [1] zahlreiche Kommentar-Artikel gewidmet. Mit chauvinistischer Eintracht ist sie der Auffassung, dass der von ihm erlittene Angriff somit der nachträgliche Nachweis der Richtigkeit der Unabhängigkeits-Politik von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan gegenüber den Vereinigten Staaten sei. Ist das wirklich so?
Laut Wall Street Journal wäre der Chef des MIT (der wichtigste türkische Geheimdienst) in Wirklichkeit die Nummer 2 des Regimes, hinter dem Premierminister, aber vor dem Präsidenten der Republik, Abdullah Gül und dem Außenminister Ahmet Davutoğlu.
Die Ankunft des Vertrauens-Mannes von Herrn Erdoğan an der Spitze des MIT, im Mai 2010, hätte den Beginn einer nicht-pro-US-Politik der Türkei bedeutet: die Verhaftung und Verurteilung hoher, einst an das Pentagon gebundener Offiziere (Ergenekon-Prozess), die Unterstützung der Muslim-Brüder anlässlich des arabischen Frühlings und der Versuch, den syrischen Konflikt dazu zu verwenden, um das Land zu spalten und dort einen kurdischen Staat zu schaffen.
Vor allem wirft das Wall Street Journal Hakan Fidan vor, die Dschihadisten in Syrien zu unterstützen, mitinbegriffen die heftigsten Anti-westlichen, trotz der Warnungen von Washington. Es zitiert einen kemalistischen Parlamentarier, Mehmet Ali Ediboglu, der bescheinige, ein Dutzend türkischer Polizeiautos gesehen zu haben, die mehr als 50 Busse voller Dschihadisten nach Syrien begleitet hätten, d. h. einen Konvoi von über 2000 Kriegern. Dies sei auch kein Einzelfall gewesen.
Die Zeitung erwähnt jedoch nicht, dass Hakan Fidan, im Gegensatz zu Recep Tayyip Erdoğan, kein muslimischer Bruder ist, sondern ein Anhänger von Fethullah Gülen (spin-doktor des Präsidenten Gül) war. Ebenso verschweigen die Ermittler des Wall Street Journal seine Vergangenheit, so als ob der Leiter des türkischen Geheimdienstes aus dem Nichts käme. Die Zeitung erwähnt seine Spitzenfunktion in der türkischen Agentur für internationale Zusammenarbeit (Tika), ohne aber von seiner Rolle zu sprechen, den Einfluss von Ankara nach Zentralasien, bis zum Fergana-Tal, bis nach China zu erweitern. Sie erinnert an die israelischen Vorwürfe, mit dem Iran zusammenzuarbeiten, als er in der AIEA arbeitete, ohne aber zu erwähnen, dass Herr Fidan drei Tage vor der Affäre Mavi Marmara zum Leiter des MIT ernannt wurde, um die Operation zu überwachen.
Im Gegensatz dazu interpretieren wir diese Kontroverse ganz anders: vor einem Monat noch fand nichts in der türkischen Politik Anstoß bei den US-Interessen. Ganz im Gegenteil. Alles geschah auf Befehl von Washington.
– Deshalb war die Verurteilung der rangobersten Offiziere kein Schlag gegen die Vereinigten Staaten, sondern eine Strafe für ihre Bereitschaft, von ihnen Abstand nehmen zu wollen und sich der chinesischen Volksarmee zu nähern, wie es die gleichzeitige Verurteilung von Verantwortlichen der winzigen Arbeiterpartei, maoistischer Prägung, beweist [2].
– Die Unterstützung der Muslim-Brüder in Nordafrika ist keine plötzliche Schrulle von Ankara, sondern die Ausführung des Plans des Department of State, der im Kabinett von Hillary Clinton durch die „Schwester“ Huma Abedin und in der William J. Clinton Foundation von dem, auch für die Kommunikation der Partei von Herr Erdoğan verantwortlichen „Bruder“ Gehad El-Haddad koordiniert wurde. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Mutter von Frau Abedin mit Frau Mursi den Frauen-Zweig der Bruderschaft betreut, während der Vater von Herrn el-Haddad diplomatischer Berater des Präsidenten Mursi war.
– Schließlich sind die Versuche, einen kurdischen Staat in Syrien zu schaffen konsistent mit den Erwartungen des Pentagon, das beabsichtigte, Syrien in mehrere Staaten aufzuteilen, wie die von Ralph Peters 2006 [3] veröffentlichte Karte zeigt. Und Hakan Fidan, der im Jahr 2009 bei den geheimen Verhandlungen mit der PKK in Oslo teilnahm, ist der beste türkische Experte des Themas.
Darüber hinaus fand die türkische politische Wende nicht im Mai 2010 mit der Ankunft von Hakan Fidan an der Spitze des MIT statt, sondern in 2011, während des Krieges gegen Libyen. Unter dem Druck des Außenministeriums hat Ankara damals dann die Chancen des muslimischen Bruderschaft-USA-Abkommens begriffen. Es ist erst seit diesem Moment, dass Recep Tayyip Erdoğan wieder ein „Bruder“ geworden ist, trotz seiner vermeintlichen Entsagung der Bruderschaft während seiner Haft im Jahr 1998 und seiner „Bekehrung“ zum Laizismus.
Das eigentliche Problem liegt woanders: die Unterstützung für die Dschihadisten. Zu Beginn des Krieges in Syrien wurden sie vom Katar finanziert und durch die NATO von der türkischen Base Incirlik koordiniert. Dazu gab es also nichts zu sagen. Aber seit der Vereinbarung zwischen Russland und den USA während der Chemiewaffen-Krise, haben sich die Vereinigten Staaten militärisch von dem syrischen Konflikt zurückgezogen, während die Türkei und Saudi-Arabien das Spiel weiterspielen. Der Artikel vom Wall Street Journal muss daher als eine Warnung an die Herren Erdoğan und Fidan angesehen werden. Da sie Syrien nicht zeitgemäß besiegen konnten, werden sie jetzt aufgefordert, sich zurückzuziehen, welch immer auch die Folgen in der Innenpolitik für sie sein könnten.
Hakan Fidan, der für die Geheimdienste der NATO während des Kosovo-Krieges gearbeitet und in den Vereinigten Staaten studiert hat, sollte diese Botschaft verstehen.
[1] “Turkey’s Spymaster Plots Own Course on Syria. Hakan Fidan Takes Independent Tack in Wake of Arab Spring”, von Adam Entous und Joe Parkinson, The Wall Street Journal, 10. Oktober 2013.
[2] « Le coup d’État judiciaire de l’AKP », par Thierry Meyssan, Al-Watan (Syrie), Réseau Voltaire, 19 août 2013.
[3] “Blood Borders; How a Better Middle-East Would Look”, von Ralph Peters, Armed Forces Journal, Juni 2006.
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